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Stephan Thomae
Pressemitteilung

THOMAE-Interview: Gesetzesentwurf ist absurd und grenzt an Verfassungswidrigkeit

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae gab „WDR 5“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Judith Schulte-Loh:

Frage: Monatelang wurde über den Paragrafen 219a gestritten und so wie es aussieht, könnte der Bundestag das neue Gesetz zum Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche schon diese Woche beschließen. Die erste Lesung des Gesetzes war am Freitag, für heute ist eine Expertenanhörung angesetzt. Der Gesetzentwurf, der sieht vor, dass Ärzte und Krankenhäuser künftig legal auf die Tatsache hinweisen dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Für weitere Informationen müssen sie allerdings auf Behörden, Beratungsstellen und Ärztekammern verweisen. Grüne, Linke und die FDP kritisieren diesen Kompromiss der Regierungskoalition. Stephan Thomae ist der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende. Herr Thomae, Sie haben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesvorlage geäußert, weshalb?

Thomae: Dass, was die Koalition nach monatelangen Diskussionen hier präsentiert, ist so absurd, dass man sich fragen muss, ob es überhaupt noch verfassungsmäßig ist. Hier soll eine Tat eines Arztes, nämlich eine sachliche Information, strafbar sein. Man fragt sich schon: Wie kann eigentlich eine sachliche Information eine Straftat darstellen, strafbares Unrecht darstellen? Nein, das ist schon so absurd, dass man sich überlegt, kann das eigentlich sein. Das Strafrecht ist das schärfste Schwert unseres Rechtsstaates und dass jemand für eine sachliche Information mit einer Strafe rechnen muss, das ist schon eine verfassungsmäßige Besonderheit, eine Merkwürdigkeit, die wir sonst nirgendwo haben und deswegen bin ich der Meinung, das grenzt an die Verfassungswidrigkeit.

Frage: Haben Sie bereits eine Prüfung in die Wege geleitet, denn es könnte ja jetzt auch schnell gehen diese Woche?

Thomae: In der Tat, es ist ein riesiges Tempo jetzt von der Großen Koalition vorgelegt worden, nach monatelangem Nichtstun muss es jetzt innerhalb von zehn Tagen durchs Parlament gepeitscht werden. Ja, wir prüfen das derzeit und sind im Augenblick der Auffassung, dass es sich lohnen könnte, einen Normenkontrollantrag zum Bundesverfassungsgericht zu stellen. Dazu wäre ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages erforderlich.

Frage: Glauben Sie, dass die Mehrheiten zu organisieren sind?

Thomae: Das ist eine qualifizierte Minderheit von 25 Prozent, die wir benötigen. Das müsste mit Linken, Grünen und der FDP locker zu meistern sein.

Frage: Nun reden wir über einen Kompromiss zwischen Union und SPD. Das Werbeverbot für Abtreibungen wird beibehalten, das wollte die Union. Eine Ausnahme ermöglicht ja den Ärzten aber, darüber zu informieren, dass sie Abbrüche vornehmen. Das konnte die SPD erreichen. Ein Kompromiss also, ist das nicht Alltag im Regierungsgeschäft?

Thomae: Ja, aber dieser Kompromiss ist ein wirklich fauler Kompromiss, ein Minimalkompromiss. Man fragt sich schon, wieso ist etwas bei einem Arzt strafbar, was woanders problemlos veröffentlicht werden kann. Man stelle sich vor, der Kompromiss sieht vor, dass bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und bei der Bundesärztekammer genau die gleichen Informationen im Internet veröffentlicht werden dürfen, die auf der Homepage eines Arztes strafbar wären. Das ist kein Kompromiss, das ist eine Merkwürdigkeit, wie sie sonst nirgends haben und deswegen bin ich der Meinung, das ist gar keinen Kompromiss in der Sache. Es geht nicht darum, Informationen zu verbessern, sondern den Koalitionsfrieden einfach zu retten.

Frage: Was wäre denn die Alternative gewesen, Ihres Erachtens?

Thomae: Die Alternative wäre gewesen, eine Lösung zu finden, auf der auch Ärzte auf ihrer Homepage sachlich informieren dürfen. Nicht reißerisch werben, das ist ganz klar, dass wollen auch wir nicht, aber eine sachliche Information muss auf der Homepage des Arztes möglich sein. Genau dort, wo Frauen und Mädchen Informationen suchen, wo der Arzt auch weiß, was bewegt eigentlich meine Patientinnen. Das wäre die richtige Lösung gewesen, dafür haben wir auch einen Vorschlag vorgelegt.

Frage: Ursprünglich wollte die SPD ja auch wesentlich mehr erreichen, also hätte sie in dieser Frage jetzt den Koalitionsbruch riskieren müssen, Ihres Erachtens?

Thomae: Es ist eine Sollbruchstelle der Koalition. Man weiß auch, dass viele, viele Mitglieder, vor allem Kolleginnen aus der SPD-Bundestagsfraktion, mit diesem Kompromiss alles andere als glücklich und zufrieden sind. Man kann abwarten, was im Lauf der Woche noch alles passieren wird.

Frage: Koalitionsvertrag ist Koalitionsvertrag. Wer ihn bricht ist am Zerwürfnis schuld. Würden Sie in einer Regierung anders handeln, Herr Thomae?

Thomae: Also, wir hätten auf jeden Fall darauf bestanden, dass es möglich sein muss, dass eine sachliche Information auf der Homepage eines Arztes dargestellt und veröffentlicht werden darf. Das wäre für uns der Minimalkompromiss gewesen, man hätte nicht unbedingt so weit gehen müssen, den 219a komplett aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Aber diese Informationen für den Arzt zu ermöglichen, das wäre das Minimum gewesen.

Frage: Das ist auch das, was die FDP will, wenn sie jetzt versuchen, noch diesen Gesetzesentwurf, dessen zweite dritte Lesung vielleicht schon diese Woche ist, zu verhindern. Was würden Sie, um das noch klarzumachen, in den Fokus stellen?

Thomae: Zunächst einmal werden wie ein Änderungsantrag im Rechtsausschuss am Mittwoch präsentieren, um noch eine Verbesserung vorzunehmen. Sollte das nicht von der Großen Koalition akzeptiert werden, werden wir am Ende der Woche im Plenum gegen den Gesetzesvorschlag der Großen Koalition stimmen und dann auch einen Normenkontrollantrag nach Karlsruhe stellen.

Frage: Und dieser Änderungsantrag, den sie am Mittwoch einreichen werden, bezieht sich dann vor allem worauf?

Thomae: Darauf, dass auch Ärzten möglich ist, straffrei sachliche Informationen für hilfesuchende Frauen und Mädchen zu veröffentlichen.

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