Bettina Stark-Watzinger Dr. Florian Toncar
Pressemitteilung

STARK-WATZINGER/TONCAR-Gastbeitrag: BaFin muss grundlegend umgebaut werden

Die Parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Fraktion Bettina Stark-Watzinger und Dr. Florian Toncar schrieben für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Dass sich bei einem DAX-Unternehmen ein Viertel der Bilanzsumme über Nacht in Luft auflösen kann, hätte sich vor kurzem keiner vorstellen können. Dazu gehört enorme kriminelle Energie, die jetzt ein Fall für die Staatsanwaltschaften und Gerichte wird.

Besonders folgenschwer an der Causa Wirecard ist aber auch die Leistung der Finanzaufsicht BaFin, die nicht in der Lage war zu handeln, obwohl die Vorwürfe der Bilanzmanipulation gegen Wirecard seit vielen Monaten bekannt waren. Eine Aufsicht, die selbst auf eindeutige Hinweise nicht adäquat reagiert, wird ihrem Auftrag nicht gerecht. Der Fall Wirecard zeigt: Auch die unzähligen, hoch komplizierten neuen Regeln, die nach der Finanzkrise erlassen worden sind, können schwerste Schäden nicht verhindern, wenn sie nicht durchgesetzt werden. Was wir sehen ist ein eklatantes Vollzugsdefizit.

Zurecht verzweifeln Bankmitarbeiter oder Finanzberater, wenn sie jeden Tag mit extremen Bürokratielasten konfrontiert sind, die Aufsicht aber einen gigantischen Betrug trotz klarer Indizien übersieht. Die absolut falsche Reaktion auf das Versagen im Fall Wirecard wäre jetzt aber, wenn die BaFin aus Angst vor weiteren Fehlern in den Modus der Selbstabsicherung wechseln würde, Langsamere Entscheidungen oder noch mehr Bürokratie für Unternehmen wären der falsche Weg. Was ist zu tun?

Die Aufsicht hat vor nicht allzu langer Zeit den Wechsel von der rein quantitativen auf eine qualitative Aufsicht vollzogen. Das war der richtige Schritt, aber es muss dringend an der Qualität von Regulierung und Aufsicht gearbeitet werden. Die BaFin muss endgültig ins 21. Jahrhundert transformiert werden, um gegenüber der global und digital vernetzten Finanzbranche angemessen auftreten zu können. Ihre Zeit und Aufmerksamkeit müssen künftig vor allem dorthin fließen, wo große Risiken liegen.

Wir brauchen also mehr Risikoorientierung der Aufsicht statt deren Überfrachtung. Die BaFin darf sich nicht darauf zurückziehen, dass ihr nur gegenüber der Wirecard Bank AG mit ihrer Banklizenz formale Durchgriffsrechte zustünden. Der BaFin obliegt die Kapitalmarktaufsicht insgesamt. Nimmt sie diese nicht in geeigneter Weise wahr, verliert der Finanzstandort Deutschland unwiederbringlich an Vertrauen.

Die Bundesregierung muss Sorge dafür tragen, dass die ökonomische Kompetenz in der BaFin gestärkt wird, statt sie mit weiteren Aufgaben aufzublähen. Es kann vor diesem Hintergrund nicht sein, dass die BaFin kleinen Finanzdienstleistern genauso intensiv beaufsichtigt wie große, international aufgestellte Akteure. Es wäre daher der falsche Schritt, wenn die schwarz-rote Regierungskoalition nun auch noch wie vorgesehen die Aufsicht über die vielen kleinen freien Finanzvermittler von den örtlichen Gewerbeämtern und Industrie- und Handelskammern auf die BaFin übertragen würde. Dieses Vorhaben muss gestoppt werden. Weiterhin muss endlich zügig die von der Koalition längst versprochene Entlastung kleiner Banken von Aufsichtsanforderungen kommen.

In einem ersten Schritt hat die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit der Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) gekündigt. Deren Aufgabe ist es, die Bilanzen der Unternehmen auf Fehler zu untersuchen. Dies ist eher eine „technische“ Prüfung als eine ultimative Richtigkeitskontrolle. Die Bundesregierung macht es sich zu leicht. Die Kündigung des Vertrages mit der DPR darf nicht davon ablenken, dass die BaFin die Verantwortung für die von ihr beaufsichtigen Finanzinstitute trägt.

Die BaFin hätte bei erheblichen Zweifel den Fall jederzeit an sich ziehen können. Davon nahm die BaFin Abstand. Schließlich hatte sie sich mit Verbot von Leerverkäufen – also der Spekulation auf fallende Kurse der Wirecard-Aktie – auf die Seite von Wirecard gestellt. Die BaFin hatte einen Verdacht auf Kursmanipulation durch Journalisten und möglichen involvierten Hedgefonds. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte sie den Anschuldigungen einer Bilanzmanipulation durch die Journalisten allerdings parallel nachgehen können.

In einem zweiten Schritt muss die BaFin selbst grundlegend umgebaut werden. Englisch muss als Verwaltungssprache anerkannt werden. Bilanzanalyse und die Kenntnis der häufig komplexen globalen Geschäftsprozesse in der Finanzwelt müssen dringend weiter verbessert werden. Hilfreich wäre hier ein besserer Personalaustausch mit der Wirtschaft und mit den Aufsichtsbehörden anderer Länder. Die US-Aufsichtsbehörden, die diesen Austausch stärker pflegen, sind sehr viel erfolgreicher darin, Finanzskandale aufzudecken. Sie genießen im Markt auch eine hohe Autorität. Zudem muss die BaFin eigene forensische Fähigkeiten aufbauen, um eigene Untersuchungen anstellen zu können, wenn Verdachtsfälle bekannt werden. Eine leistungsfähige Finanzaufsicht gibt es heute nur durch Fokussierung auf Risiken, Internationalisierung und mehr ökonomische Kompetenz.

In einem dritten Schritt muss sich die BaFin neue technologische Möglichkeiten zu Eigen machen. Der Vorschlag, auf Blockchain-Lösungen zu setzen muss intensiv geprüft werden. Treuhandkonten, die über eine Blockchain laufen, garantieren pseudonyme Konten; deren Transaktionen sind aber für die Öffentlichkeit zugänglich. Teilweise könnte die Rechnungsprüfung damit sogar automatisiert werden. Viel Zukunftsmusik, aber Innovationen entstehen, wenn der Status quo nicht zufriedenstellt.

Denn die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die jahrelang Testate erteilt haben, muss überprüft werden. Auch diese tragen eine Verantwortung im Fall Wirecard. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Finanzaufsicht zu stark auf die Analyse der Wirtschaftsprüfer verlassen hat.

Die Wirecard-Aktie hat vor der möglichen Insolvenz einen annähernden Totalverlust zur Folge. Geschädigte institutionelle Investoren, aber auch Kleinanleger bereiten Sammelklagen vor. Wirecard wird als einer der größten Finanzskandale in die deutsche Geschichte eingehen. Damit leidet das Ansehen des Finanzplatzes Deutschland erheblich. Der Fall Wirecard bedarf dringend einer Sonderuntersuchung und der intensiven parlamentarischen Aufarbeitung.

Die Finanzmarktregulierung und die damit verbundene Aufsicht benötigen ein Update. Es sind die gewachsenen Finanzinstitute, die sich dem internationalen Wettbewerb und dem durch die Digitalisierung getrieben Strukturwandel stellen müssen. Eine Bank, die sich nicht zum Technologieunternehmen weiterentwickelt, wird es bald nicht mehr geben. Deutschland als moderner Kapitalstandort muss das Geschäft der Zukunft verstehen.

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