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PRO: Der Staat ist nicht zur Untätigkeit verdammt

In einem Gastbeitrag für die fdplus erklärt Katrin Helling-Plahr, weshalb sie für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren ist.

Katrin Helling-Plahr spricht zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Aufklärung, Beratung und Impfung aller Volljährigen gegen SARS-CoV-2

KATRIN HELLING-PLAHR: Der Staat ist nicht zur Untätigkeit verdammt

Eltern und Kinder bangen inzwischen jeden Winter, ob Schule und Kita besucht werden können. Einzelhändler, Gastronomen und viele weitere Branchen kämpfen ums Überleben, weil ihnen Schutzmaßnahmen und Kundenschwund das Geschäft verhageln. Für Schwerkranke werden dringend erforderliche medizinische Behandlungen verschoben, weil coronabedingt weniger Behandlungskapazitäten in den Krankenhäusern zur Verfügung stehen. Auf dem Rücken all dieser Menschen wird die viel zu geringe Impfquote in Deutschland ausgetragen. All diesen Menschen gegenüber besteht eine Schutzpflicht des Staates. Eine Schutzpflicht, der der Staat gegenwärtig nicht annähernd gerecht wird.

Daran ändert auch Omikron nichts: Die etwas geringere individuelle Gefahr geht eben nicht einher mit einer reduzierten gesellschaftlichen Gefahr. Im Gegenteil: Die schnellere Verbreitung führt tendenziell zu einer stärkeren Belastung des Gesundheitssystems als Ganzes. Aufgrund welcher Variante Nicht-Covid-Patienten geplante Behandlungen verwehrt werden müssen, ist letztlich egal.

Man darf sich aber keinen Illusionen hingeben: Ausgehend von der bisherigen Mutationsfreudigkeit des Virus ist nicht davon auszugehen, dass Omikron – egal ob Subtyp BA.1 oder BA.2 – auch im Herbst noch die dominante Variante sein wird. Die Einführung einer Impfpflicht ist daher nicht so sehr gegen die aktuelle Welle gerichtet, sondern soll sicherstellen, dass gerade der Faktor, der Covid-19 jenseits der inhärenten Eigenschaften des Virus so gefährlich macht, nämlich die Immunnaivität von immer noch zu großen Teilen der Bevölkerung, zukünftig so nicht mehr existiert. 

Manche glauben, das Problem löse sich von selbst: Wer sich nicht impfe, infiziere sich halt, zudem gebe es ja nun Medikamente. Leider zeigen neue Studien, dass gerade mildere Krankheitsverläufe eine deutlich schwächere Immunität als die Impfung erzeugen und dies zudem nicht zuverlässig tun. Die neuen Medikamente haben mutagenes Potenzial und erhöhen bei breiter Anwendung die Gefahr weiterer neuer Varianten drastisch. Es ist nicht klug, als Gesellschaft einseitig auf antivirale Therapien zu setzen. Long Covid ist – bei Kindern wie Erwachsenen – noch nicht im Ansatz erforscht, dürfte aber auf Jahre eine menschliche wie wirtschaftliche Geißel unserer Gesellschaft werden.

Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Sie sollen den Staat zwingen, sich zu rechtfertigen, wenn er in die von ihnen geschützten Rechtsgüter eingreift. Sie sollen ihn nicht zur Untätigkeit verdammen.

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