Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Interview: Eine unkontrollierte Einreise darf sich nicht wiederholen

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Montagsausgabe) und „rnz.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Herr Lindner, führende CDU-Politiker geben Russland die Schuld an dem neuen Flüchtlingsdrama in Syrien und in der Türkei. Erdogan dagegen wird schonend behandelt – auch von der Bundesregierung. Müsste nicht auch der Druck auf die Türkei erhöht werden?

Lindner: Das Vorgehen Erdogans in Syrien ist brandgefährlich. Jetzt muss es darum gehen, menschliches Leid zu lindern und weitere Eskalationen zu vermeiden. Deutschland und Frankreich sollten alle Kanäle nutzen, damit es zu einem Syrien-Gipfel mit der Türkei und Russland und nicht nur einem bilateralen Treffen kommt. Die Europäische Union muss mit am Tisch sitzen, weil wir gemeinsam vom Krieg in unserer Nachbarschaft betroffen sind.

Frage: Führt an weiteren Sanktionen gegen Russland noch ein Weg vorbei?

Lindner: Putin und Assad tragen die Hauptverantwortung für diese humanitäre Katastrophe. Sie muss beendet werden. Wenn es einen Syrien-Gipfel gäbe und Russland seine Militäraktionen stoppen würde, müsste man nicht über neue Wirtschaftssanktionen sprechen. Umgekehrt gilt aber dasselbe. In dieser Frage muss Europa seine Einigkeit behalten.

Frage: Wie lässt sich eine weitere Eskalation in Idlib noch stoppen?

Lindner: Ich fürchte, wir sind Zeugen des letzten Kapitels im syrischen Bürgerkrieg. Jetzt geht es darum, mit den beteiligten Mächten menschliches Leid zu lindern.

Frage: Der türkische Präsident setzt Flüchtlinge als Druckmittel ein. Darf sich Europa erpressen lassen?

Lindner: Erdogan steht vor den Scherben seiner Außenpolitik. Seine Militärinterventionen in Syrien sind abenteuerlich. Jetzt fehlt es ihm an allem, vor allem am Geld. Wir dürfen uns weder erpressen lassen noch in den Konflikt zwischen Russland und der Türkei ziehen lassen. Dem gemeinsamen Schutz der Außengrenzen der EU kommt nun eine besondere Bedeutung zu. Wir sollten Griechenland alle nötige Unterstützung zukommen lassen. Was Athen von uns Europäern braucht, sollte die dortige Regierung bekommen.

Frage: Muss die EU jetzt auf die Forderungen Ankaras eingehen, die Türkei stärker bei der Flüchtlingsaufnahme unterstützen?

Lindner: Wenn Erdogan seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, dann sollte er gar kein Geld mehr aus Europa bekommen. Es rächt sich, dass wir uns auch Jahre nach der Flüchtlingskrise des Jahres 2015 immer noch auf andere verlassen müssen und der Krieg weiter eskaliert. Die wirksame Kontrolle der Außengrenzen muss Priorität haben. Genauso nötig ist das Signal, dass Europa klare Kriterien hat, wer einreisen und bleiben darf. Wir haben humanitäre Verantwortung und ein Interesse an qualifizierter Einwanderung. Wer aber weder bedroht noch qualifiziert ist, kann nicht auf dauerhaften Aufenthalt hoffen.

Frage: Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses und Kandidat für den CDU-Vorsitz, Norbert Röttgen, sieht in Erdogans Vorgehen einen Hilferuf und warnt vor harten Reaktionen.

Lindner: Die Analyse, dass Erdogan zwischen allen Stühlen sitzt, teile ich. Verharmlosen und zu einem Opfer machen sollte man ihn aber auch nicht. Er trägt erhebliche Mitverantwortung für die Lage.

Frage: Droht jetzt wieder eine Situation wie in der Flüchtlingskrise 2015?

Lindner: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat versprochen, dass sich ein Kontrollverlust wie 2015 nicht wiederholt. Daran werden sie selbst, Innenminister Seehofer und die Unionsparteien gemessen. Zur Reduzierung der Migrationsbewegungen wäre es hilfreich, wenn Frau Merkel klar öffentlich sagt, dass es eine unkontrollierte Einreise nach Deutschland nicht mehr gibt. Wir sagen seit Jahren, dass im Krisenfall auch die Zurückweisung an der deutschen Grenze möglich sein muss, wie das unsere europäischen Partner auch tun.

Frage: Thema Corona-Virus: Die Epidemie breitet sich auch in Deutschland immer weiter aus. Sie haben Kritik am Krisenmanagement von Bund und Ländern geübt. Wo sehen Sie Defizite?

Lindner: Beim Gesundheitsschutz verbietet sich eine parteipolitische Debatte. Jetzt brauchen alle medizinischen Hilfskräfte und die Behörden unsere Rückendeckung, damit vor allem die besonders gefährdeten Menschen geschützt werden. Danach wird man aufarbeiten, was besser werden muss. Was mir akut fehlt, ist ein ergänzendes Krisenmanagement des Wirtschafts- und Finanzministers. Corona ist zuerst eine Gefahr für die Gesundheit, aber danach auch ein Risiko für Arbeitsplätze und die Stabilität der Wirtschaft. Die Herren Altmaier und Scholz sollten ein Akutprogramm umsetzen, um ein Signal der Handlungsfähigkeit zur Beruhigung der Märkte zu senden. Alle bereits beschlossenen Maßnahmen zur Entlastung und zu Investitionen sollten vorgezogen werden, die Kurzarbeit muss flexibler werden, die Stromsteuer kann man senken. Auf der EU-Ebene sollte es einen Krisengipfel der Wirtschafts- und Finanzminister geben.

Frage: Nach dem Thüringen-Eklat ist die FDP-Fraktion aus der Hamburger Bürgerschaft geflogen. Droht den Liberalen jetzt auch bundesweit ein Kampf ums politische Überleben?

Lindner: Wir sind nicht im Wahlkampf, sondern konzentrieren uns auf die für das Land wichtige Themen. Dass die Wirtschafts- und Finanzpolitik verwaist ist, sieht man dieser Tage. Bei Bildung und Digitalisierung kommen wir nicht voran. Und vor allem aber motivieren mich die Versuche, Freiheit durch Bürokratismus zu ersetzen, privates Eigentum durch Vergesellschaftung, Vernunft durch Aktionismus.

Frage: Wie will die FDP ihren Tabubruch in Erfurt bei der Wahl des Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD in der kommenden Woche wieder gutmachen?

Lindner: Ein Tabu gebrochen hat zunächst die AfD, als sie unehrenhaft ihren Kandidaten fallen ließ, um FDP und CDU zu beschädigen. Wir haben uns für Erfurt entschuldigt. Es war eine Fahrlässigkeit im Umgang mit der AfD. Wir haben Klarheit geschaffen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben kann, weil sie völkische Überlegenheitsfantasien hegt und destruktiv mit dem Parlament umgeht. Unsere Thüringer FDP hält aber genauso an der Haltung fest, einen Politiker der Linken nicht zu wählen. Herr Ramelow sieht in der DDR keinen Unrechtsstaat und seine Partei will den Sozialismus. Weil die FDP in Erfurt nicht zwischen AfD und Linker wählen wollte, kam es ja überhaupt damals zu der Kandidatur. Im Übrigen wird jetzt der Versuch unternommen, aus diesem Vorgang Kapital zu schlagen. Was nicht links oder grün ist, soll automatisch undemokratisch sein. Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Denn es verengt die politische Mitte.

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