Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Sicherheitslage im Irak wird sich dramatisch verschlechtern

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tobias Armbrüster:

Frage: Her Lambsdorff, was bedeutet dieser Luftschlag, diese gezielte Tötung für die internationalen Beziehungen?

Lambsdorff: Das ist eine massive Eskalation in der Region, und im Grunde nehmen die Amerikaner hier eine Politik wieder auf, von der sie sich unter Trump eigentlich verabschiedet hatten, nämlich die militärischen Vergeltungsschläge. Wenn wir uns mal an 2019 erinnern, da gab es den Drohnenangriff im Juni, da haben die Amerikaner die Vergeltung in letzter Sekunde abgeblasen, es gab den Angriff auf die saudische Raffinerie, da gab es keine Vergeltung. Aber ganz offensichtlich hat das ja den Iran nicht dazu gebracht, sein aggressives Verhalten zu ändern. Die Belagerung der amerikanischen Botschaft in Bagdad war nur die letzte Eskalation seitens des Iran. Insofern kommt dieser Schlag jetzt zu Beginn eines Wahljahres in den USA einerseits überraschend, anderseits ist er in gewisser Weise auch folgerichtig.

Frage: Das heißt, Sie können darin einen taktischen oder strategischen Sinn erkennen in dieser gezielten Tötung?

Lambsdorff: Die Al-Kuds-Brigaden, die Soleimani ja befohlen hat, waren ja im Grunde eine militärisch organisierte Terroreinheit. „Al-Kuds“, das muss man wissen, heißt Jerusalem. Und Soleimani war der Mann, der hinter der ganzen regionalen Aggression des Iran immer gestanden hat, er war in Syrien zu sehen, er war im Libanon zu sehen, man hat ihn ja jetzt im Irak angegriffen und getötet, nicht etwa im Iran. Er hat ganz offensichtlich im Irak Operationen durchgeführt, auch gegen Amerikaner. Insofern gibt es eine militärische Logik. Politisch für Donald Trump ist das Ganze hoch schwierig. Er hatte seinen Wählern versprochen, keine neuen Kriege im Nahen Osten einzugehen. Aber jetzt ist eine Vergeltung des Iran sicher zu erwarten, mit anderen Worten: Eine Eskalation, eine neue Dynamik, vielleicht wirklich eine völlig neue Lage.

Frage: Was folgt daraus, das ist ja jetzt die große Frage? Werden die USA sozusagen ihre Strategie noch einmal überdenken, sich zurückzuziehen aus dem Nahen Osten oder weiter dort aktiv werden?

Lambsdorff: Herr Armbrüster, ich wünschte, ich könnte Ihnen so rational, wie das bei anderen Administrationen in Washington der Fall war, sagen, was da genau die Planung ist. Das ist bei dieser US-Administration nicht so leicht möglich. Es ist im Grunde ein Widerspruch zu dem, was die Amerikaner im Jahr 2019 getan haben, nämlich Deeskalation. Es ist jetzt ein Wiedereinstieg in eine massive Konfrontation, ausgerechnet zu Beginn des Wahljahres. Damit war in dieser Form nicht zu rechnen, aber ganz offensichtlich gingen jetzt die Provokationen zu weit. Es bedeutet aber, dass die internationale Gemeinschaft tätig werden sollte, ich glaube, wir brauchen eine Sicherheitsratssitzung in New York, um diese Situation zu erörtern, denn niemand kann ein Interesse an einem großen regionalen Krieg haben, der unter Umständen Saudi-Arabien mit einbeziehen würde, aber eben auch Israel massiv in Mitleidenschaft ziehen würde. Mit anderen Worten, wir haben eine wirklich dramatische internationale Lage.

Frage: Herr Lambsdorff, Sie haben es gesagt, das Ganze ist passiert im Irak, nicht etwa im Iran. Soleimani war dort im Irak unterwegs, die USA haben ihn nun dort gezielt getötet. Was bedeutet das für den Irak und für die Sicherheitslage dort?

Lambsdorff: Ich glaube, die Sicherheitslage im Irak wird sich noch einmal dramatisch verschlechtern. Natürlich ist der Iran jetzt einerseits geschwächt, auf der anderen sind seine verbündeten Milizen, die Volksmobilisierungsbewegung dort natürlich motiviert, jetzt Racheaktionen zu begehen. Das bedeutet einmal für die Bundeswehr, die ja im Irak stationiert ist mit einer Ausbildungsmission, dass wir uns fragen müssen, kann sie dort isoliert bleiben oder muss sie nicht schnellstmöglich in die Nato-Mission integriert werden, deren Schutz besser ist, wo sie dann gemeinsam mit den Verbündeten entscheiden kann, müssen wir die Bundeswehr zurückziehen aus dem Irak oder kann sie bleiben. Ich glaube, dass wir eine Eskalation vielleicht auch über den Irak hinaus bekommen werden, also in anderen Regionen Angriffe auf amerikanische Einrichtungen weltweit. Vergessen wir bitte eines nicht, die Al-Kuds-Brigaden sind eine Terrororganisation, die global operiert. Man hat schon versucht, in Washington Anschläge zu begehen, mit anderen Worten, wir haben hier eine wirklich dramatische neue Lage.

Frage: Sie betonen das immer wieder, dass es sich hier um eine Terrororganisation handelt. Können dann die USA jetzt Unterstützung für diese gezielte Tötung aus Deutschland, aus dem Bundestag, auch aus Ihrer Partei erwarten?

Lambsdorff: Ich glaube, dass diese Eskalation niemandem wirklich gefallen kann. Soleimani war in der Tat der Stratege, das Gehirn, im Grunde im Iran auch eine Art Popstar des Terrors auf der einen Seite. Auf der anderen Seite war er eine politische und diplomatische Figur, deren Tötung – und das hat Peter Bergen bei CNN ja sehr klar gesagt – eine völlig neue Lage schafft. Das kann man nicht unterstützen. Im Grunde wäre es besser gewesen, man hätte aus amerikanischer Sicht den europäischen Ansatz weiter verfolgt, den Versuch einer Deeskalation. Es war falsch, dass die Amerikaner aus dem Atomabkommen ausgestiegen sind, und ich glaube, dass auch der Ansatz, die regionale Aggression des Iran einzudämmen, besser auf diplomatischem Weg versucht worden wäre als auf militärischem, so wie es hier der Fall ist. Mit anderen Worten: Eine unerfreuliche, von uns nicht zu unterstützende Situation, die aber aus einer gewissen militärischen Logik heraus verständlich ist. Nur wenn wir in eine militärische Spirale gehen, dann ist das eine Eskalationsspirale und eben nicht die Deeskalationsspirale, die wir 2019 gesehen haben.

Frage: Sie kritisieren da, wenn ich Sie da richtig verstehe, jetzt wieder das amerikanische Vorgehen gegenüber dem Iran, auch das diplomatische Vorgehen. Aber zeigen nicht gerade die Begleitumstände dieser Nacht, wozu der Iran im Stande ist? Er schickt einen seiner Top-Generäle ständig auf Tour in der Region, eben jetzt hier im Irak auch am Flughafen von Bagdad, offenbar auch wieder unterwegs, um irgendwo anders hinzufliegen. Er unterstützt diese, Sie haben es gesagt, diese Terrormiliz, diese Al-Kuds-Brigaden. Zeigt uns das nicht eigentlich, was für ein internationaler Verhandlungspartner der Iran tatsächlich ist?

Lambsdorff: Nun, der Charakter des Iran und der Charakter des iranischen Regimes ist ohne jeden Zweifel genau so, wie Sie in gerade in Ihrer Frage auch skizziert haben. Es ist ein Regime mit einer aggressiven Außenpolitik, eine akute Bedrohung für die Sicherheit Israels, noch mal, „Al-Kuds“ heißt Jerusalem, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite, Sie müssen Frieden nicht mit Freunden, Sie müssen Frieden mit Feinden machen. Das bedeutet, dass wenn Sie die wirklich zentralen Akteure der Gegenseite so angreifen, wie das hier geschehen ist, dann nehmen Sie der Gegenseite die Chance, in irgendwelche Diskussionen, Debatten, Verhandlungen überhaupt erst einzutreten. Und genau das ist die Situation, die wir hier haben. Das ist eine Schwächung kurzfristig des Iran, Soleimani war eine große, wichtige Figur in der iranischen Politik, aber es ist völlig undenkbar in meinen Augen, dass die iranische Regierung, dass das iranische Regime das ohne Vergeltung geschehen lassen wird. Und deswegen glaube ich, dass es noch schwieriger werden wird, zu einer Stabilisierung der Lage zu kommen. Das wird jetzt eine militärische Eskalation, unter Umständen auch mit Terroranschlägen in anderen Weltregionen nach sich ziehen.

Frage: Nach den Entwicklungen dieser Nacht, was raten Sie der Bundesregierung, was sollte sie tun?

Lambsdorff: Ich glaube, die Bundesregierung muss ihre Präsenz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dazu nutzen, eine Sondersitzung einzuberufen, um zu deeskalieren. Es gibt andere Länder, die auch kein Interesse an einem Krieg in der Region haben können. Ich glaube, wir müssen eine völlig neue Bewertung des Bundeswehreinsatzes im Irak vornehmen. Mindestens muss die Bundeswehr in die Nato-Mission integriert werden, es war völlig unverständlich, dass die Bundesregierung die Bundeswehr isoliert in den Irak geschickt wird, das war völlig falsch. Und der Irak muss weiterhin die Lage versetzt werden, ausländischem Einfluss, wie er durch Soleimani hier verübt worden ist, dagegen gehärtet zu werden. Insofern: Die Unterstützung der irakischen Zentralregierung muss weitergehen.

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