Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Es ist höchste Zeit, sich auf einen harten Brexit einzustellen

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Dirk-Oliver Heckmann:

Frage: Theresa May hatte ja eine rechtlich bindende Erklärung gefordert, um den Brexit-Vertrag durchs Unterhaus zu bekommen. Welche Bindungskraft hat das, was die EU-Regierungschefs da erklärt haben?

Lambsdorff: Das ist eine Bekräftigung dessen, was man im Grunde ohnehin vereinbart hatte. Natürlich ist der Backstop ja nur eine Lösung für den Fall, dass es keine Einigung auf ein Abkommen gibt nach der Übergangsphase. Der Backstop ist ja von Anfang an eigentlich nur aufgenommen worden mit dem Ziel, ihn gar nicht benutzen zu müssen, und insofern ist das jetzt noch einmal eine Bekräftigung dieser Regelung. Aber es hat keine neue Qualität. Es hat auch keine rechtliche Bindungswirkung, sondern es ist der Versuch einer Hilfe für Theresa May in schwieriger Lage.

Frage: Das heißt, sie geht mit im Prinzip weniger als nichts nach Hause?

Lambsdorff: Das Bemerkenswerte an der Diskussion jetzt ist ja Folgendes: Ihr Vorgänger, David Cameron, der hat ja im Vorfeld des Referendums schon einmal mit Brüssel, mit allen dort gesprochen, mit den Mitgliedsstaaten, und ein sogenanntes Arrangement bekommen, also eine Zusage, dass man bereit ist, mit Großbritannien über bestimmte Dinge zu reden, wenn Großbritannien in der Europäischen Union bleibt. Dabei war sogar eine Einschränkung der Freizügigkeit von EU-Bürgern. Das war viel mehr als das, was Theresa May jetzt hat. Aber auch David Cameron hat ja das nicht genützt; er hat das Referendum verloren. Was Theresa May jetzt bekommen hat, ist erneut eine Zusage, dass man versuchen will zu helfen. Aber es hat keine neue Qualität. Der Hintergrund ist, glaube ich, einfach folgender: Auch in Brüssel, auch in den nationalen Hauptstädten sieht man, dass Entgegenkommen in der Sache die Diskussion in Großbritannien wenig verändert. Dieses Entgegenkommen in der Sache ist deswegen vermutlich nicht die Lösung des Problems, das Theresa May im Unterhaus hat. Das ist eine Lösung, die sie selber herbeiführen müsste durch die britische Innenpolitik.

Frage: Aber, Herr Lambsdorff, glauben Sie denn im Ernst, dass durch diese Erklärung, die jetzt abgegeben worden ist – Sie sagen selber, sie ist rechtlich nicht bindend –, dass man damit Theresa May in irgendeiner Art und Weise geholfen hat, den Brexit-Vertrag durchs Unterhaus zu bekommen?

Lambsdorff: Nein! Ich bin da völlig Ihrer Auffassung. Ich glaube, es ist der Versuch, das zu tun. Inwieweit der erfolgreich sein wird, werden die Diskussionen in London zeigen. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Jacob Rees-Mogg, der Hauptantreiber der Brexit-Hardliner, der hat ja sogar erklärt, dass selbst wenn man den Backstop vollständig aus dem Austrittsabkommen entfernen würde, er trotzdem immer noch gegen das Abkommen stimmen würde. Mit anderen Worten: Man kann Theresa May eigentlich auch kaum helfen. Sie muss innenpolitisch sehen, wie sie ihre Gegner auf Linie kriegt. Sie muss innenpolitisch sehen, wo sie eine Mehrheit herbekommt, ob das in der eigenen Partei ist, oder ob es darin besteht, mit Labour eine überparteiliche Mehrheit zu schmieden. Beides sieht zurzeit sehr unwahrscheinlich aus. Insofern: Ich bin in der Analyse ganz bei Ihnen. Das wird die Dinge nicht fundamental verändern.

Frage: Wie wird das Ganze denn aus Ihrer Sicht in London weitergehen? Ist die Wahrscheinlichkeit für einen harten Brexit, einen Brexit ohne Abkommen, gestiegen?

Lambsdorff: Ja, diese Wahrscheinlichkeit ist stark gestiegen. 117 Abgeordnete ihrer eigenen Fraktion haben ja gegen sie gestimmt im Misstrauensvotum. Da muss man davon ausgehen, dass von denen die allermeisten auch gegen ein Abkommen stimmen würden. Das heißt, eine Mehrheit ist wirklich nicht abzusehen, und für uns bedeutet das hier in Deutschland und in den anderen Mitgliedsstaaten, dass es höchste Zeit ist, sich auf einen harten Brexit einzustellen, also ein Ausscheiden des Vereinigten Königreichs ohne Abkommen. Das bedeutet wirklich enorme Vorbereitungsleistungen. Das ist etwas, was wir im Deutschen Bundestag ja auch debattiert haben. Die Bundesregierung tut hier erheblich zu wenig nach unserer Auffassung. Denn es ist für die Wirtschaft, es ist für die Bürgerinnen und Bürger, die davon betroffen sind, einfach nötig, eine Vorbereitung treffen zu können auf Grundlage klarer Informationen, die die Bundesregierung bereitstellen muss.

Frage: Aber ein harter Brexit wäre mit erheblichen Kosten nicht nur für Großbritannien, sondern für die Europäische Union insgesamt verbunden. Hätte man Theresa May nicht noch ein bisschen stärker entgegenkommen sollen?

Lambsdorff: Na ja. Dann muss man sagen, auf welchem Gebiet, und ich glaube, dass das Abkommen, das ausgehandelt worden ist über anderthalb Jahre, ja eines ist, wo alle der Meinung sind, dass die britischen Interessen weitestgehend berücksichtigt worden sind. Großbritannien hat ja den Austritt erklärt, nicht die Europäische Union den Austritt aus ihr selbst, sondern Großbritannien hat die EU verlassen und hat dann rote Linien erklärt: Keine Mitgliedschaft im Binnenmarkt, keine Mitgliedschaft in der Zollunion und keine harte Grenze in Irland. Das waren die sogenannten roten Linien. Hier hat man versucht, Großbritannien so weit es irgend geht entgegenzukommen, und gleichzeitig mit Irland solidarisch zu bleiben, denn natürlich hat auch Irland kein Interesse an einer harten Grenze.

Frage: Der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen sieht das ein bisschen anders. Der sagt: „Die Schuld trägt auch die Europäische Union.“ Man hätte nämlich viel früher auf die Bedürfnisse der Briten eingehen sollen, gleich sich daran machen sollen, ein Freihandelsabkommen auszuhandeln wie mit Japan, wie mit Kanada. Da wurden keine schweren Fehler gemacht aus Ihrer Sicht?

Lambsdorff: Nein! Ich halte die Einschätzung von Günther Verheugen an der Stelle für unzutreffend. Denn man muss ja zunächst einmal regeln, unter welchen Bedingungen ein Land austritt, und dann kann man selbstverständlich ein Freihandelsabkommen abschließen. Es gibt, und das wissen die Mitglieder der britischen Regierung und das sollten die Mitglieder des Unterhauses auch wissen, in Brüssel niemanden, der mit Großbritannien keine gute Beziehung nach dem Austritt will. Wir wollen engst mögliche Beziehungen. Wir wollen ein Freihandelsabkommen, das weiter geht als alles, was wir sonst so haben. Wir haben ja zurzeit einen faktischen Freihandel durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Binnenmarkt. Mit anderen Worten: Es gibt alle Möglichkeiten, konstruktiv miteinander umzugehen. Aber der Austritt muss geregelt ablaufen und insofern haben alle von vornherein die Linie von Barnier unterstützt, des Chefunterhändlers, zwei getrennte Abkommen zu machen. Das eine ist das Austrittsabkommen und im Anschluss daran ein Freihandelsabkommen auszuhandeln.

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