Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Interview: Autoindustrie nicht kaputtreden

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde:

Frage: Wird das neue Einwanderungsgesetz dem Anspruch gerecht, gezielt Fachkräfte ins Land zu holen?

Lindner: Nein, die Einigung der Koalition auf Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz ist mehr dem Wahlkampf in Bayern und Hessen geschuldet als einer echten Problemlösung. Die Bundesregierung versucht, Handlungsfähigkeit zu zeigen. Aber den Durchbruch schafft sie nicht. Es fehlt die Systematik eines Einwanderungsgesetzbuches. Wir vermissen zum einen unbürokratische Lösungen, um Talente nach Deutschland zu holen. Das hat Kanada mit einem Punktesystem gelöst. Außerdem gibt es keinen Fortschritt, die Asylverfahren zu beschleunigen und den quasi automatischen Daueraufenthalt von Ausreisepflichtigen zu unterbinden.

Frage: Noch ist offen, welche Chance Migranten bekommen, die einen Job haben, aber nur geduldet sind...

Lindner: Hier sehe ich eine ideologische Blockade des sogenannten Spurwechsels durch die Union. Wir brauchen klare Anforderungen für qualifizierte Einwanderer. Wer die als Ausreisepflichtiger erfüllt, sollte bleiben dürfen, weil wir diese Menschen brauchen. Rabatt darf es aber keinen geben, weil es sonst falsche Anreize für illegale Migration gibt. Ungelöst ist da leider noch immer die Abschiebung von Asylbewerbern in den Maghreb-Raum. Die Grünen blockieren im Bundesrat die Ausweisung etwa Tunesiens als sicheres Land. Das ist indirekte Wahlhilfe der Grünen für die AfD.

Frage: Themenwechsel: Umstritten sind auch Diesel-Beschlüsse der Bundesregierung. Werden Verbraucher mit Umtauschprämien, bei denen sie Tausende von Euro drauflegen müssen, für dumm verkauft?

Lindner: Die Diesel-Geschichte ist ein Ärgernis. Hier muss unterschieden werden zum Betrug, für den die betroffenen Hersteller haften müssen. Mit Fahrverboten und den Versäumnissen der Politik hat das aber nichts zu tun. Wer bei der Modernisierung von Bussen schläft, wer wissenschaftlich umstrittene Messverfahren akzeptiert, wer den Diesel subventioniert und Verkehrslenkung in Innenstädten versäumt, der kann nicht allein die Auto-Branche an den Pranger stellen, sondern muss auch Verantwortung übernehmen.

Frage: Das heißt?

Lindner: Entscheidend ist, dass die Halter von Diesel-Autos eine Mobilitäts- und Wertgarantie erhalten. Es ist richtig, dass die Bundesregierung nun öffentlichen Verkehr modernisieren will. Pflichtnachrüstungen bei manipulierten Motoren sind auch richtig. Die erste Maßnahme wäre aber in meinen Augen, dass die Messmethoden geprüft werden. Da gibt es Zweifel. Ich halte es zudem für verantwortbar, die sehr scharfen Grenzwerte eine Zeit später zu erreichen. Die Bundesregierung muss in Brüssel für eine neue Übergangsfrist eintreten. Die natürliche Modernisierung der Fahrzeugflotte entschärft das Problem mittelfristig.

Frage: Es gibt massiv Druck auf Autohersteller wie BMW oder Opel, die Hardware-Nachrüstungen ablehnen…

Lindner: Es geht nur auf freiwilliger Basis, denn die Autos sind mit Billigung des Staates in den Verkehr gebracht worden – ohne Betrug. Die Dieselfahrzeuge E4 und E5, um die es jetzt geht, sind legal zugelassen worden. Und bei ihnen macht eine Umrüstung nicht überall Sinn. Ich warne davor, eine Schlüsselindustrie kaputtzureden.

Frage: Neues Thema: Was ist los in Sachsen, wo die AfD bei Demos Rechtsextremer mitläuft?

Lindner: Die AfD vollzieht keine Abgrenzung mehr zum Rechtsextremismus. Die Maske ist gefallen. Deshalb hat der Hamburger Landes- und Fraktionsvorsitzende die Partei verlassen. Jeder, der diese Partei wählt, muss wissen, was er tut. Umso unverständlicher ist, dass jetzt der neue CDU-Fraktionschef im Sächsischen Landtag durch Koalitionsdebatten die AfD noch aufwertet. Der CDU ist offenbar nichts mehr heilig, weil sie massiv an Zustimmung einbüßt. Es gilt aber auch: Schätzungsweise einem Drittel der AfD-Wähler geht es nicht im Kern um völkischen Populismus. Das sind Protestwähler wegen der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel. Die kann man für die demokratischen Parteien zurückgewinnen.

Frage: Bekämpft Sachsen Extremismus zu halbherzig? Warum konnte sich schon wieder eine rechte Terrorzelle dort bilden?

Lindner: In Sachsen hat die dort regierende CDU viel zu lange die Gefahr des Rechtsextremismus und völkischen autoritären Denkens unterschätzt. Auch diese Versäumnisse haben eine Kraft wie die AfD salonfähig gemacht.

Frage: Zum Schluss: Sie fordern Neuwahlen – mit dem Ziel, die Kanzlerin loszuwerden und ohne Angela Merkel bei Jamaika doch einzusteigen?

Lindner: Wir fordern keine Neuwahlen…

Frage: Ihr Vize Kubicki schon…

Lindner: Kubicki ist Kubicki. Die FDP hat an Kanzlerin Merkel appelliert, die Vertrauensfrage zu stellen. Es wäre eine Chance gewesen, in einer Regierungserklärung eine Agenda 2030 zu beschreiben, um sich die danach vom Bundestag bestätigen zu lassen. Das ist vorbei. Die Union merkelt sich durch.

Frage: Wir sehen Lockerungsübungen zwischen FDP und Grünen, ist das die Vorbereitung für Jamaika?

Lindner: Wir sprechen miteinander. Wir haben zur Reform des Bildungsföderalismus etwa einen gemeinsamen Gesetzentwurf vorgelegt, damit Bund und Länder kooperieren können. Wir brauchen auch mehr Vergleichbarkeit zwischen den 16 Ländern. Leider fällt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident seinen eigenen Leuten immer in den Rücken. In vielen Punkten gibt es aber grundlegende Unterschiede. So haben sich die Grünen als linke Verteidiger von Angela Merkels Flüchtlingskurs auf eine nahezu grenzenlose Willkommenskultur zurückgezogen, was einen Konsens aller Parteien erschwert. Mein Appell an Grüne und CSU ist, sich in die Mitte zu bewegen: Wir brauchen eine Migrationspolitik, die sich an der Vernunft orientiert.

Frage: Wie kommt es, dass die Grünen ihr Bundestagswahlergebnis von 2017 stark verbessern, die FDP aber nicht?

Lindner: Die Grünen weiden die SPD aus. Die FDP ist auf einem harten Weg und braucht Geduld, um noch mehr Menschen zu gewinnen. Sicher ist: Wir schöpfen mit neun, zehn Prozent unser Potenzial nicht aus. Manche Menschen haben Sehnsucht nach Jamaika, obwohl sie gar nicht wissen, was da an Zumutungen auf sie zugekommen wäre. Diejenigen, die heute darüber trauern, hätten uns dann verflucht. Irgendwann wird sich das Blatt wenden. Jetzt wird unsere Prinzipientreue in Kompromisslosigkeit umgemünzt, später wird aus Kompromissbereitschaft wieder Umfallen gemacht.

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