Stellv. Fraktionsvorsitzender
Zuständig für Freiheit und Menschenrechte weltweit
Tel: 030 227 79363
Michael Link
Pressemitteilung

LINK-Interview: Am Ende wird Israel das tun, was die Hamas am nachhaltigsten eliminiert

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link gab „Welt.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Wann rechnen Sie mit dem Beginn einer israelischen Bodenoffensive in Gaza, Herr Link? Oder sehen Sie ein Szenario, in dem Israel darauf verzichtet?

Link: Am Ende wird Israel das tun, was die Hamas am nachhaltigsten eliminiert. Ob es dann eine komplette oder eher partielle Bodenoffensive ist, ob man versucht, vor allem die Tunnel auszuräuchern und oberirdisch weniger unternimmt – da verbietet sich jegliche Spekulation. Offensichtlich ist, dass in der israelischen Führung intensiv und verantwortungsvoll über verschiedene Optionen beraten wird. Es ist gut, dass es jetzt eine Allparteienregierung mit Persönlichkeiten wie Benny Gantz gibt, die extreme Positionen der Netanjahu-Koalition ein wenig ausbalancieren.

Frage: Was kommt nach einer solchen Bodenoffensive?

Link: Eine Lage, für deren Bewältigung man die Ägypter, die Saudis und die Jordanier braucht. Es wundert mich nicht, dass die Hamas gerade jetzt zugeschlagen hat. Die Verhandlungen zwischen den USA, Israel und Saudi-Arabien über ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen waren weit fortgeschritten. Die Saudis unter Mohammed bin Salman sind zweifellos kein einfacher Partner, nicht nur wegen des Mordes an Jamal Khashoggi. Aber sie sind anders als der Iran keine Scharfmacher und bereit, die Beziehungen mit Israel zu normalisieren. Ich werbe deshalb für einen realpolitischen Umgang mit Riad. Aber man darf auch nicht vergessen: Wenn man Hamas wirklich treffen will, muss man vor allem den Drahtzieher dahinter treffen, den Iran.

Frage: Wie?

Link: Das iranische Mullah-Regime ist von innen extrem unter Druck, es hält sich nur mit massivster Repression. Ja, Israel muss und wird im Gazastreifen für Ordnung sorgen. Aber das wird das Problem der Drahtzieherschaft durch den Iran nicht lösen. Wir müssen den Druck auf das iranische Regime von außen erhöhen: Durch die Listung der Revolutionsgarden als Terrorgruppierung auf europäischer Ebene, durch mehr Sanktionen gegen Teheran und die Einsicht, dass die Zeit über das Atomabkommen hinweggegangen ist. Das Abkommen wird von den Iranern und auch von den Russen längst nicht mehr ernst genommen. Wir müssen verstehen: Solange das Mullah-Regime im Iran an der Macht ist, wird die Lage in der Region weiterhin extrem angespannt bleiben.

Frage: Werden die Solidaritätsbekunden aus Deutschland Bestand haben, wenn die Bodenoffensive kommt und der Krieg länger andauert?

Link: Israel wird alles versuchen, um die Zahl der zivilen Opfer zu reduzieren. Mehr noch als IS oder Taliban, hat die Hamas sich eine regionale Festung aufgebaut, deren unterirdische Anlagen oberirdisch durch zivile Einrichtungen und menschliche Schutzschilder geschützt werden. Trotz aller militärischen Präzision kann man solche Schutzschilder nicht so einfach umgehen.

Frage: Der Nahost-Terror zieht viel Aufmerksamkeit vom Ukraine-Krieg ab. Wird in der Folge auch die Unterstützung für Kiew schwinden?

Link: Das darf nicht passieren. Der Faktor Zeit arbeitet leider für Putin, an der militärischen und auch an der medialen Front. Also müssen wir überlegen: Was ist zu tun, um erstens Putin zu zeigen, dass er militärisch nicht gewinnen kann? Und die zweite Frage lautet: Wie kann man den Verlauf des Krieges zugunsten der Ukraine beschleunigen? Wir dürfen nicht mutwillig eskalieren, nicht selbst Konfliktpartei werden. Aber wir können finanziell und auch militärisch noch mehr tun, um Russland durch militärische Erfolge der Ukraine schneller an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Zweifler sollten dabei bedenken: Ein über Jahre währender Stellungskrieg oder, noch schlimmer, ein Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung würde Flüchtlingszahlen ganz anderer Dimension auslösen. Und keiner der jetzt schon Geflohenen könnte zurück.

Frage: Hängt der Erfolg der Ukraine nicht letztlich vor allem davon ab, dass der größte Unterstützer, die Vereinigten Staaten von Amerika, bei der Stange bleiben?

Link: Die USA sind ganz eindeutig der mit Abstand wichtigste Faktor. Die richtige Lehre daraus lautet, den europäischen Pfeiler der Nato zu stärken, so dass wir im Extremfall eines Nichthandelns der USA – aus welchem Grund auch immer – wenigstens ein Mindestmaß an militärischer Handlungsfähigkeit besitzen. Ich halte die Position der bisherigen polnischen Regierung für fragwürdig, die sich nur auf die Amerikaner verlassen hat. Ich halte auch die oft in Frankreich vertretene Idee einer Autonomie Europas für eine Sackgasse, weil das einer Abkopplung gleichkäme. Stattdessen brauchen wir mehr strategische Souveränität der EU. Das stärkt sowohl die EU als auch die transatlantische Partnerschaft.

Frage: Ist die Bundesregierung auf eine mögliche Rückkehr von Donald Trump vorbereitet?

Link: Klar ist: Wenn Trump zurückkehrt, wird es für Europa unangenehm. Es ist Aufgabe von Politik, solche Worst-Case-Szenarien zu durchdenken. Meine Empfehlung ist, die Beziehungen zu an Europa interessierten Republikanern massiv auszubauen, zu Gouverneuren und Senatoren, die an Schlüsselstellen sitzen und in ihren Staaten wichtige europäische Investments haben. Davon gibt es viele und wir müssen wissen, wen wir anrufen können. Daran arbeite ich als Transatlantikkoordinator der Regierung sehr intensiv.

Frage: Können Sie sich an eine Zeit erinnern, in der Deutschland sich mit einer ähnlichen Vielzahl von gleichzeitigen Krisen konfrontiert gesehen hat wie aktuell?

Link: Ich will nicht der Tendenz folgen, die Jetztzeit als die schwierigste zu beschreiben. Wenn ich an die Jugoslawien-Kriege samt den dramatischen Verwerfungen und Folgen für die Europäische Union denke, würde ich eher sagen: Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Diese müssen wir annehmen, nicht jammern – und die Chance nutzen, hinterher etwas draus zu machen. Die Erfahrung zeigt doch, dass zum Beispiel die EU immer nur dann vorangekommen ist, wenn es vorher einen großen Einschnitt gab. Den aktuellen Krisen muss nun die Einsicht folgen, dass Europa endlich handlungsfähiger werden muss.

Frage: Wo denn?

Link: Es braucht qualifizierte Mehrheitsabstimmungen in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wir sehen derzeit nicht nur beim Thema Israel eine ziemliche Kakofonie: Kommissionspräsidentin von der Leyen macht etwas, der Außenbeauftragte Borell kritisiert sie auf offener Bühne, Ratspräsident Michel fühlt sich zurückgesetzt und möchte krampfhaft auch irgendwie stattfinden. Das ist einfach nicht professionell.

Frage: Das sind die Strukturen in Brüssel. Ist die Bundesregierung institutionell so aufgestellt, dass sie den sicherheitspolitischen Herausforderungen in Nahost, Ukraine, Balkan oder Aserbaidschan nicht nur reaktiv begegnen kann?

Link: Ich halte es auch weiterhin für wichtig, über einen Nationalen Sicherheitsrat nachzudenken. Das stärkt die Regierungsstruktur, weil es alle beteiligten Ressorts zur Beschäftigung mit den Themen zwingt und früher als bisher eine gemeinsame Sichtweise herbeiführen kann – idealerweise bereits vor einer Krise. In Abwesenheit eines strukturierten Sicherheitsrats entscheidet letztlich der Kanzler, wenn er will alleine. Das ist befriedigend für die Partei, die den Kanzler stellt. In einer Koalition jedoch wäre ein Sicherheitsrat die bessere Lösung, nicht nur für die Ressorts, sondern auch für die die Koalition tragenden Parteien.

Frage: Zum Abschluss ein Blick auf Ihre Partei. Sie haben den Absturz der FDP in Regierungsverantwortung von 2009 bis 2013 miterlebt. Fürchten Sie ein Déjà-Vu?

Link: Nein, die Lage ist heute auch schwierig, aber anders. Damals hatte die FDP das anfängliche, fast euphorische Vertrauen in die Union und das Kanzleramt unter Frau Merkel verloren, es herrschte Misstrauen, auch die FDP selbst war zerstritten. Heute haben wir es mit drei sehr unterschiedlichen Partnern zu tun, die nie die Illusion einer Liebesheirat hatten.

Frage: Also was tun?

Link: Wir werden daran gemessen, dass wir das Bestmögliche draus machen. Die FDP steht für Verlässlichkeit und klaren Kurs. Aufstehen und Wegrennen wäre feige und unverantwortlich. Die drei Parteien, so verschieden sie sind, müssen sich zu pragmatischen Lösungen aufraffen, um die konkreten Probleme zu lösen, so wie jetzt beim Thema unkontrollierte Migration. Alle drei Partner müssen sich da bewegen. Es fiel uns nicht leicht, beim Thema stationäre Grenzkontrollen einzulenken, aber jetzt ist Pragmatismus gefragt. Und den erwarte ich jetzt beim Thema Migration auch von den Grünen, zum Beispiel beim Thema zivile Seenotrettung. Dies muss dringend in die Hände von Frontex, nicht ziviler Retter oder NGOs. Als Europapolitiker weiß ich, dass wir mit der Unterstützung ziviler Seenotrettung alle unsere EU-Mittelmeerpartner vergraulen. Es ist unklug, in dieser Sache den halben Kontinent gegen Deutschland aufzubringen.

Immer informiert - unser Presseverteiler

Jetzt anmelden

Mit unserem Newsletter bleiben Sie informiert