Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Interview: Sehr viel Geld ohne sicheren Effekt

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab dem „Handelsblatt“ (Mittwochsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Thomas Sigmund und Gregor Waschinski:

Frage: Herr Lindner, hat das Konjunkturpaket „Wumms“, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte?

Lindner: Die Dimension hat Wumms, aber bei den Maßnahmen haben wir Zweifel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit. Es fehlen Prognosen und Aussagen, welche Effekte es gibt und ob überhaupt ein Hebel für mehr Wachstum erreicht wird. Jedes Unternehmen kalkuliert Investitionen genauer als die Politik. Natürlich gibt es Erfreuliches wie etwa, dass endlich eine Förderung des chancenreichen Energieträgers Wasserstoffs kommt. Bei der Bildung geht das Paket auch in die richtige Richtung, obwohl hier höhere Finanzmittel sinnvoll wären. Die Senkung der Umsatzsteuer als Herzstück, wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte, ist aber problematisch.

Frage: Warum?

Lindner: Da wir es mit einer gleichzeitigen Angebots- und Nachfragekrise zu tun haben, kann man über die Stärkung des Binnenkonsums nachdenken. Dafür ist aber eine nur zeitweilige Senkung der Mehrwertsteuer zu bürokratisch, die Weitergabe an die Konsumenten zudem unklar. Wenn nach einiger Zeit wieder der alte Satz greifen sollte, werden wir eine Abbruchkante sehen, da Kaufentscheidungen jetzt nur vorgezogen werden.

Frage: Die FDP hatte auch eine Senkung der Mehrwertsteuer angedacht.

Lindner: Ja, aber wir haben uns für unseren Vorschlag eines Konjunkturpakets im Ergebnis dagegen entschieden. Über die genannten Punkte hinaus sind zwanzig Milliarden Euro sehr viel Geld ohne sicheren Effekt. Die Mittel können besser für eine große Steuerreform eingesetzt werden. Dazu raten wir. Zum Beispiel wollen wir die kalte Progression und den Mittelstandsbauch reduzieren und den Solidaritätszuschlag vollständig abschaffen. Das hätte auf den Konsum der Haushalte und die Investitionen der Unternehmen einen viel stärkeren Effekt.

Frage: Werden kommende Generationen zu stark belastet?

Lindner: Wenn jetzt neue Schulden gemacht werden, sollten diese wenigstens dazu genutzt werden, unsere Wirtschaft zukunftsfähiger zu machen. In diesem sozialdemokratisch geprägten Konjunkturpaket gibt es aber zu viel Umverteilung und zu wenige Impulse, die unserem Land einen breiteren Wachstumspfad ermöglichen und Defizite bei Digitalisierung sowie Wettbewerbsfähigkeit abstellen.

Frage: Wie wird sich die FDP im Bundestag und über den Hebel in Landesregierungen verhalten?

Lindner: Darüber werden wir zu gegebener Zeit beraten. Noch sind Änderungen im parlamentarischen Verfahren denkbar. Bei Maßnahmen, die womöglich einer Grundgesetzänderung und damit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag bedürfen, wie die Entlastung der Kommunen, sind wir gesprächsbereit. Auch die grundsätzliche Frage ist noch offen, wie wir uns in den kommenden Jahren positionieren, sollte die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden.

Frage: Neue Schulden wird es jetzt ja bald auch auf EU-Ebene geben. Was halten Sie von den Plänen für einen europäischen Wiederaufbaufonds?

Lindner: Es ist richtig, unseren Partnern in Europa in der Coronakrise zu helfen. Wichtig ist aber, dass das Geld an Bedingungen geknüpft und die Wettbewerbsfähigkeit in einzelnen Ländern gestärkt wird. Wir ziehen auch Darlehen mit Rückzahlung Zuschüssen vor, wie es etwa die Niederlande angeregt haben. Außerdem muss es einen klaren Tilgungsplan geben, der nicht hintergangen wird. Aus der EVP höre ich, dass die EU eigene Steuerquellen bekommen könnte. Davor kann man nur warnen, weil dann die Belastungsschraube für die Menschen und Betriebe nach Belieben immer weiter erhöht werden kann.

Frage: Nicht ins Konjunkturpaltet hat es eine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotoren geschafft. Die Kritik der Gewerkschaften ist groß.

Lindner: Kaufprämien wären falsch. Aber zukunftssichere Rahmenbedingungen hätte die Branche verdient. Durch die Beschlüsse der Großen Koalition wird dagegen die Fixierung auf batterieelektrische Antriebe weiter gestärkt. Eine Schlüsselindustrie in Deutschland wird geschwächt. Dabei lässt sich auch der Verbrennungsmotor mit synthetischen Kraftstoffen klimaneutral betreiben. Das wäre gut für Klima und Beschäftigung. Mein Vorschlag wäre: Wir verzichten auf jegliche Kaufanreize, setzen uns aber in der EU dafür ein, dass auch klimafreundliche Alternativen wie Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe eine faire Chance bekommen. Das würde viele Arbeitsplätze in Deutschland sichern.

Frage: Was halten Sie von dem Familienbonus von 300 Euro?

Lindner: Wer will Familien etwas missgönnen? Ich nicht. Aber längst nicht alle Familien werden profitieren. Ein großer Teil der Mittelschicht wird bei ihrer Steuererklärung erfahren, dass der Bonus verrechnet wird. Vielleicht wäre es besser, das Geld in die Qualität von Kitas und Schulen zu investieren.

Frage: Die Schulen und Kitas sind für viele Kinder immer noch geschlossen. Können Sie das nachvollziehen?

Lindner: Es ist immer einfacher, ein Land in den Lockdown zu schicken, als es wieder hochzufahren. Wir haben erfahren, dass es viel Widerstand und öffentliche Kritik gibt, wenn man die Freiheitseinschränkungen in Zweifel zieht. Wir setzen uns dennoch für Bürgerrechte ein, selbst wenn es momentan nicht populär ist. Konkret bedeutet dies, dass ein Regelbetrieb in Schulen und Kitas trotz eines Restrisikos möglich ist. Dort, wo wir wie in Nordrhein-Westfalen Regierungsverantwortung tragen, wollen wir erreichen, dass Kinder und Jugendliche wieder gefördert und Familien dadurch entlastet werden.

Frage: Kann es sich das Land bei einer zweiten Welle noch einmal leisten, Schulen zu schließen und den Alltag herunterzufahren?

Lindner: Sicher kann es regional zu einem Lockdown kommen, wenn in einem Landkreis die Infektionszahlen zu hoch sind. Aber die ganze Republik werden wir nicht erneut dichtmachen müssen. Wir sind auf eine zweite Welle besser vorbereitet, haben entsprechende Kapazitäten im Gesundheitswesen aufgebaut. Auch haben viele Bürger ihr Verhalten angepasst. Das Vertrauen auf Selbstverantwortung hat sich vielfach bewährt.

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