
LINDNER-Interview: Dort Flagge zeigen, wo Menschen streiten
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gar der „Welt“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Martin Niewendick:
Frage: Herr Lindner, von dem spektakulären Datenklau waren zahlreiche Politiker, Journalisten und Prominente betroffen. Sie auch?
Lindner: Nicht unmittelbar, aber am Rande. Meine Mobilnummer war im Datenbestand eines Kollegen, der Opfer war. So kam diese in Umlauf.
Frage: Wie haben Sie das gemerkt?
Lindner: In den ersten Tagen nur über ein paar Anrufer und einige Textnachrichten, vor allem aber über die Berichte der Medien. Bedroht oder beschimpft worden bin ich nicht. Die Leute wollten überwiegend Mut machen oder einfach nur testen, ob es tatsächlich meine Nummer ist. Viele waren überrascht, wenn ich ihnen mitgeteilt habe, dass auch jede E-Mail auf meinem Schreibtisch landet und sie meine Mobilnummer gar nicht brauchen. Am Dienstagabend hat sich das verändert. Da wurde meine Nummer anfänglich offenbar aus Pegida-Kreisen in bestimmte WhatsApp-Gruppen eingespeist. Davor warnten mich zumindest Anrufer. Tatsächlich kamen zuerst Verwünschungen voller Rechtschreibfehler an, aber später nahm vor allem die Zahl der Testanrufe zu, je weiter sich dieser Kettenbrief verbreitete. Mittwochmittag waren es dann pro Minute zwei. Das schränkt die Kommunikation doch sehr ein. Also habe ich meine Mobilnummer gewechselt.
Frage: Sie sind also zu nachlässig mit Ihren Daten umgegangen?
Lindner: Nein, wieso? Nicht mein Datenbestand wurde gestohlen, sondern der eines Kollegen. Das zeigt aber wechselseitige Abhängigkeit. Wir tragen alle Verantwortung auch für die Daten anderer. Ich habe das Leak am Anfang übrigens hingenommen, weil ich mit einigen Dutzend Anrufen, SMS und WhatsApp-Nachrichten kein Problem habe. Ich gebe sowieso vielen meine Nummer und beantworte zum Beispiel auch Privatnachrichten bei Instagram. Erreichbar zu sein ist Teil meiner Berufsbeschreibung. Hätte es nicht irgendwann überhandgenommen, hätte ich das fortgesetzt.
Frage: Ein 20-Jähriger begeht aus seinem Elternhaus heraus einen der spektakulärsten Datendiebstähle der jüngeren Vergangenheit. Was sagt das über die Cyber-Sicherheit in Deutschland?
Lindner: Es ist ein Warnsignal, dass mit dem Wissen eines informierten Amateurs eine solche Enthüllung von privaten Daten möglich geworden ist. Das lässt erahnen, was bei einer echten Cyber-Attacke auf unsere Gesellschaft passieren könnte. Ganz offensichtlich haben wir alle die Gefahr deutlich unterschätzt. Nicht nur der Staat, sondern auch jeder Einzelne muss darauf achten, wie sie oder er mit Daten umgeht. Datensicherheit ist eine Schlüsselfrage für die Sicherheitsbehörden, aber auch eine Frage der Eigenverantwortung.
Frage: Sind wir zu nachlässig?
Lindner: Das ist offensichtlich. Absolute Sicherheit gibt es sicher nicht, aber der Staat kann mehr tun. Auf Initiative der FDP gibt es seit Anfang dieses Jahrzehnts die Stiftung Datenschutz. Sie wird von der Bundesregierung seitdem stiefmütterlich behandelt und verkümmert im Bundesinnenministerium. Dabei war sie genau dafür gedacht: um Bildungs- und Aufklärungsarbeit zu betreiben. Das brauchen wir nun. Wenn Möglichkeiten wie sichere Passwörter oder Zwei-Faktor-Authentifizierung genutzt worden wären, wäre manchem viel Ärger, Aufwand und Peinlichkeit erspart geblieben. In diesem Zusammenhang setzen wir uns übrigens für ein Recht auf Verschlüsselung ein. Es müsste zum Beispiel Anforderungen an Diensteanbieter umfassen, standardmäßig Kommunikation zu verschlüsseln.
Frage: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat sich im Fall des Hackerangriffs für formal nicht zuständig erklärt.
Lindner: Zuerst war die Öffentlichkeitsarbeit des BSI desolat. Und es hat sich offenbar nur für die Regierung zuständig gefühlt, nicht aber für das Parlament und die Menschen. Das BSI kann auch gar nicht zu einem Verfechter von IT-Sicherheit werden, solange es im Geschäftsbereich des Innenministeriums ist. Dort wird ja selbst ausgespäht, und es werden zum Beispiel Lücken für den Bundestrojaner gesucht. Deshalb brauchen wir einen ganz neuen strategischen Ansatz für die IT-Sicherheit. Ich sehe es als eine innenpolitische Schlüsselaufgabe der nächsten Jahre, die zerklüfteten Zuständigkeiten zu überwinden, technisch wie personell aufzurüsten und die Digitalkompetenz in der Breite zu stärken.
Frage: Ist Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dafür der richtige Mann? Jüngst sorgte er für spöttische Erheiterung, als er sagte, dass er schon seit den 80er-Jahren im Internet unterwegs sei.
Lindner: Er muss als Minister nicht selbst der technisch kompetenteste Mann sein, aber dafür Prioritäten richtig setzen. Das von mir genannte Beispiel der Stiftung Datenschutz lässt mich zweifeln, ob das der Fall ist. Die meisten der jetzt abgeschöpften Daten lassen sich darauf zurückführen, dass private Daten nachlässig gesichert wurden. Diese konnten mit einfachsten Mitteln genutzt werden.
Frage: Das hat dem jungen Hacker offenbar auch Respekt eingebracht. Die Bürgermeisterin seines Heimatortes sagte, sie spüre „einen gewissen Stolz, dass es jemand war, der von hier kommt“.
Lindner: Eine bizarre Äußerung. Wir haben es mit Straftaten zu tun, die unsere Gesellschaft und auch viele persönliche Beziehungen gefährden können. Zum anderen darf man das, was da an technischem Know-how genutzt worden ist, nicht überschätzen. Das war mehr kriminelle Energie als Genialität.
Frage: Grünen-Chef Robert Habeck hat sich in dieser Woche von Facebook und Twitter verabschiedet. Twitter sei ein „Instrument der Spaltung“, begründete er den Schritt unter anderem. Hat er recht?
Lindner: Auf Twitter geht es oft polemisch und auch unsachlich zu. Aber als Politiker können wir uns nicht aussuchen, wo in einer Demokratie gestritten wird. Twitter wäre für mich als Privatperson nicht das Netzwerk meiner Wahl, auf Instagram fühle ich mich wohler. Aber Twitter und Facebook sind Teil unserer medialen Realität. Ich halte es für meine Verantwortung, den Menschen Rede und Antwort zu stehen, wo sie sich aufhalten. Man muss dort Flagge zeigen, wo Menschen streiten und man für Positionen kämpfen muss.
Frage: Habeck sagte, Twitter färbe auf ihn ab.
Lindner: Das respektiere ich. Aber ich stelle an mich selbst andere Anforderungen. Ich versuche, auch dort auf den eigenen Stil zu achten und den gelegentlichen Shitstorm einfach auszuhalten. Man kann sich nicht in die eigenen Wohlfühl-Zonen zurückziehen, wenn man eine Spaltung der Gesellschaft beklagt oder kritisiert, dass sich Menschen nur noch in ihren Filterblasen bewegen. Die Konsequenz daraus ist doch, sich umso mehr dort einzubringen. Es ist Teil unseres Verfassungsauftrages, an der Willensbildung des Volkes mitzuwirken und das auch dort zu tun, wo man nicht nur Applaus bekommt.
Frage: Uneingeschränkt?
Lindner: Nein. Ich breche ein Gespräch ab, wenn es um persönliche Beschimpfungen geht oder es harte rassistische, antisemitische oder anderweitig extremistische Ausfälle gibt. Dann widerspreche ich entschieden und greife notfalls zu schärferen Mitteln, indem ich Trolle von meinem Profil aussperre oder melde. In Extremfällen würde ich Strafanzeige stellen, so weit ist es aber noch nicht gekommen.