Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Gastbeitrag: Für eine neue Asien-Strategie

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner schrieb für das „Handelsblatt“ (Freitagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Was können wir von Asien lernen – und was kann Asien von uns lernen? Zusammen mit Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion habe ich kürzlich Malaysia, China, Südkorea und Japan bereist. Wir erlebten beeindruckende Anstrengungen. Wir erlebten aber auch, dass bestimmte Regionen Asiens aus deutscher Sicht ein Schattendasein führen. Das letzte Mitglied einer Bundesregierung, das zum Beispiel Malaysia besuchte, war der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos. Und politisch gibt es mancherorts auch Anlass zur Sorge. Unsere Erkenntnis der Reise: Deutschland braucht eine konsequente Asien-Strategie.

1. Asiatische Staaten werden zunehmend zu Wettbewerbern in Branchen, die bislang von deutschen und anderen westlichen Unternehmen in der Welt vertreten wurden. Die Vorstellung von der verlängerten Werkbank ist passe. Wir brauchen in Deutschland deswegen dringend eine Erhöhung der Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung. Unsere Vision ist, Deutschland als Innovations- und Bildungsstandort neu zu denken –  für die klügsten Köpfe der Welt müssen wir attraktiv und offen sein.

Dafür brauchen wir Anreize. Zum Beispiel sollten die Unternehmen in Deutschland einen bestimmten Prozentsatz ihrer Personalaufwendungen für Forschung und Entwicklung als Steuergutschrift (Forschungsprämie) erhalten. Wir müssen Bürger wie Unternehmen steuerlich entlasten und unbürokratischer werden. Notwendig ist auch eine weltoffene, aber transparent gesteuerte Zuwanderungspolitik per Punktesystem. Wenn es um Fachkräfte geht, werden Länder wie Japan bald Konkurrenten um hochqualifiziertes Personal sein.

2. Höher, schneller, weiter wird in Europa oft kritisch gesehen. Dabei können wir in Asien lernen, dass hier vor allem auch Chancen bestehen. Ganz konkret beim Städtebau zum Beispiel. Während in Berlin durch einen staatlichen Mietendeckel der Neubau von Wohnungen vollends ausgebremst wird, zeigen die asiatischen Metropolen, dass moderne Hochhäuser nicht nur Wohnraum schaffen, sondern auch die Kreativität der weltbesten Architekten beflügeln.

Ein anderes Beispiel: Das Schnellbahnnetz Chinas ist bereits über 40000 km lang. Die neue Generation der Züge schafft Geschwindigkeiten von bis zu 400 Kilometern pro Stunde. Dabei handelt es sich in Teilen um die Fortentwicklung deutscher Bahntechnologie. Warum klappt das bei uns nicht? Auch ist in Peking gerade der größte Flughafen der Welt fertiggestellt worden: Baubeginn war 2014. Bauverzögerung lediglich ein Monat. Die Inbetriebnahme ist für den 30. September 2019 geplant. Das alles, während wir in Berlin seit 13 Jahren versuchen, den BER zu eröffnen.

3. Gerade die Entwicklung Chinas sollte uns zu Recht Respekt abnötigen. Die Zahl der Chinesen, die in absoluter Armut leben, konnte zwischen 1990 und 2015 von 750 Millionen auf 750 000 reduziert werden. Dennoch dürfen wir die Augen vor negativen Entwicklungen nicht verschließen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit bedingen sich gegenseitig. Dass dies in Peking nicht überall so gesehen wird, konnten wir als Delegation hautnah erleben. In Hongkong hatten wir Gespräche sowohl mit Vertretern der Regierung als auch der demokratisch gewählten Opposition geführt. Offizielle Termine in Peking wurden daraufhin abgesagt.

Stattdessen wurde uns vonseiten der Kommunistischen Partei vorgehalten, in Deutschland habe es „unangemessene Äußerungen“ zur Situation in Hongkong gegeben. Diese hätten die Lage verschlimmert und zu Gewalt in Hongkong aufgestachelt. Dieser Vorwurf musste zurückgewiesen werden. Es ist legitim, dass China dem Erhalt der Einheit des Landes hohe Priorität beimisst. Bei allem Verständnis für den Wunsch der chinesischen Führung, Separatismus einzudämmen, muss das Land sich aber auch selbst an den Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ halten. Er wurde beim Übergang der ehemaligen Kolonie von Großbritannien an die Volksrepublik für 50 Jahre zugesichert. Dies schließt ein, dass in Hongkong Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten müssen. So wie frühere Bundesregierungen immer wieder Menschenrechtsfragen thematisiert haben, so darf auch die Kanzlerin bei ihrem Besuch jetzt in China zur Lage in Hongkong nicht schweigen.

4. Wie eng gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit Zusammenhängen, zeigte sich uns auch an einem anderen Beispiel. Von deutschen Wirtschaftsvertretern wurde uns von großer Unsicherheit berichtet im Bezug auf das sogenannte Social-Credit-System, das überall in China vorangetrieben wird. Hier geht es nicht um eine Art Schufa, sondern um ein repressives Instrument, das auf umfassende Kontrolle und Verhaltenssteuerung ausgelegt ist. Es kann nicht nur Individuen bewerten, sondern wird auch Unternehmen betreffen. Laut Medienberichten planen unter anderem Luxemburg und Singapur, im Zuge der Digitalisierung bei der Visavergabe das umstrittene System zu berücksichtigen und bei einem hohen Social-Credit-Score Visa für chinesische Staatsbürger in einem Eilverfahren zu bearbeiten. Westliche Staaten sollten das System aber nicht als Bewertungsgrundlage nutzen und es dadurch legitimieren. Dafür werden wir uns einsetzen. Deutschland darf diesen Weg nicht gehen.

5. Ausländische Unternehmen unterliegen in China nach wie vor vielen Einschränkungen im Vergleich zu chinesischen Unternehmen, zum Beispiel durch den Joint-Venture-Zwang in einzelnen Branchen. Zentrale Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit ist deshalb, dass China seine Märkte weiter öffnet. Seit Ende 2013 wird über ein Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und China verhandelt. Hier bleiben die Fortschritte bislang begrenzt. Die EU muss den Druck auf China erhöhen, damit zum Beispiel europäische Firmen einen Zugang zu chinesischen Ausschreibungen bekommen. Wir brauchen ein Bekenntnis, dass WTO-Mitglieder entsprechend ihrer wirtschaftlichen Stärke multilaterale Verpflichtungen übernehmen und sich nicht länger hinter dem undefinierten Entwicklungsländerstatus verstecken. Nur mit einer One-Voice-Policy können wir als Europäer Werte und Interessen wirksam artikulieren. Denn bei allem Respekt für China wird oft vergessen, dass ein geeintes Europa der größte zusammenhängende Wirtschaftsraum der Welt ist. Fangen wir endlich an, diese Stärke positiv zu nutzen.

6. Falsch wäre es ohnehin, bei aller Bedeutung Chinas unter Asien allein die Volksrepublik zu verstehen. Zwar ist sie ein Gigant. Die zehn Asean-Staaten bringen es aber auch auf 640 Millionen Menschen. Sie machen Fortschritte bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, bauen Handelsbarrieren ab und treiben die Digitalisierung in ihrer Region voran. Wo bisher einzeln mit den Mitgliedstaaten über ein Freihandelsabkommen verhandelt wurde, sollten wir die Vorteile nutzen, die sich aus Verhandlungen auf der Ebene EU und Asean ergeben würden. Gleichzeitig gibt es in Asien Staaten, die bereits unsere Wertepartner sind. Besonders zu spüren war dies in Japan. Sehr gute Beziehungen dürfen aber nicht als Selbstverständlichkeit abgetan werden. Sie müssen auch weiterhin aktiv gepflegt werden.

7. Wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht, muss Asien viel stärker zum Partner werden. Malaysia zum Beispiel sollte nicht Abnehmer von Plastikmüll sein, sondern Partner bei der Wiederaufforstung von Regenwald. Sosehr wir auch bei uns den Wald als natürlichen Speicher von Kohlendioxid schützen sollten, so sehr liegen die Vorteile tropischer Regionen auf der Hand: Wie unsere Delegation in Malaysia besichtigen konnte, lässt sich Regenwald innerhalb mehrerer Jahrzehnte fast komplett aufforsten, selbst wenn er abgeholzt wurde. Noch fehlt es aber an einem internationalen Emissionshandelssystem, das C02 weltweit bepreist, sodass sich solche Anstrengungen auch wirtschaftlich lohnen. Lernen können wir auch von Staaten wie Japan, die in der Praxis auf Technologieoffenheit setzen, wenn es um neue Antriebe geht. Eine Wasserstoffstrategie zum Beispiel, wie sie die Regierung dort verfolgt, würde ich mir auch für Deutschland wünschen.

8. Insgesamt fehlt es Deutschland an einem wachen Blick auf Asien. Wir schauen zu sehr auf die USA und China allein – das verstellt unsere Wahrnehmung für Zwischentöne. Die Bundesregierung muss hier mehr Führung zeigen und im Auswärtigen Amt zum Beispiel die Ressourcen stärken. Was der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel mit der Asien-Abteilung begann, war gut gemeint, blieb aber Stückwerk in der Umsetzung. Asien und Europa sind nicht nur durch Gegensätze gekennzeichnet, sondern auch durch viele Gemeinsamkeiten: Zu den Werten, die unter anderem der Konfuzianismus geprägt hat, gehören Fleiß, Sparsamkeit, Selbstdisziplin und Bildungsstreben. Es sind ähnliche Werte wie die der protestantischen Reformation, die einst entscheidend zum Aufstieg des Westens beigetragen haben. Auch wir sollten diesen Wertekanon wieder stärker in den Vordergrund stellen und keine Angst vor dem Leistungsgedanken haben. Wenn auf beiden Kontinenten Freiraum geschaffen wird für Unternehmertum, Innovation und gesellschaftliche Entwicklung, dann muss uns um die gemeinsame Zukunft nicht bange sein.

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