Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Joe Biden spielte die Karte vom „normalen Kerl“

Der stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „t-online.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tim Kummert:

Frage: Herr Graf Lambsdorff, der Demokrat Joe Biden hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie erleichtert sind Sie?

Lambsdorff: Klare Sache: Glatte Zehn.

Frage: Der noch amtierende Präsident Donald Trump hat bereits angekündigt, das Ergebnis juristisch anfechten zu wollen. Ihre Freude könnte nur von kurzer Dauer sein.

Lambsdorff: Die Wahl wird in Wisconsin ja schon juristisch angefochten, aber vor Gericht ist es wie auf hoher See: Man ist in Gottes Hand. Dennoch, beim Supreme Court sind die konservativen Richter in der deutlichen Mehrzahl, die eventuell Trump unterstützen könnten. Zu sicher sollte sich Biden noch nicht fühlen.

Frage: Dass die Republikaner ihren Präsidenten davon abhalten zu klagen, ist für Sie ausgeschlossen?

Lambsdorff: Ja, das halte ich für undenkbar. Die Republikaner haben sich Trump nahezu vollständig unterworfen. Unabhängig davon muss Trump erst mal stichfeste Argumente für eine Anklage finden – und da bin ich noch sehr gespannt. Ich glaube, es besteht eine gute Chance, dass der nächste Präsident der USA Joe Biden heißt.

Frage: Sollte es so kommen: Befinden die USA sich aus Ihrer Sicht dann auf dem richtigen politischen Weg?

Lambsdorff: Ja. Die Wähler haben mehrheitlich ein klares Signal gesendet: Wir wollen nicht länger von einem Populisten regiert werden.

Frage: Aber nicht alle. Biden gewann nur mit einem kleinen Vorsprung – entgegen vorheriger Prognosen, die einen Erdrutschsieg prophezeiten.

Lambsdorff: Tja, was soll ich dazu sagen? Die Meinungsforschungsinstitute lagen deutlich daneben. Trump hat mit seiner Art noch immer großen Rückhalt in der Gesellschaft.

Frage: Warum war das Rennen zwischen den beiden Kontrahenten so knapp?

Lambsdorff: Es ist Trump offenbar gelungen, seine Anhänger in letzter Minute zu mobilisieren. Doch das hat nicht gereicht, denn der Wahlsieger, Joe Biden, hat etwas ganz Zentrales geschafft: Er hat die demokratische Partei geeint und den linken Flügel mit den Pragmatikern versöhnt, das war seine Strategie nach innen. Und das war dann die Basis dafür, dass er auch einen erfolgreichen Wahlkampf im Land führen konnte.

Frage: Weshalb war der Wahlkampf am Ende erfolgreich?

Lambsdorff: Es gibt sicher mehrere Erfolgsfaktoren. Aber besonders interessant ist, dass Biden ausgerechnet mit seiner Kampagne viele ältere, weiße Männer ansprechen konnte …

Frage: … die oft als Trump-Befürworter galten.

Lambsdorff: Das waren sie 2016 auch – aber Biden hat sie trotzdem überzeugt.

Frage: Wie?

Lambsdorff: Wissen Sie, Joe Biden spielte die Karte vom „normalen Kerl“. Er zeigte sich als jemand, der gerne grillt, große Sonnenbrillen trägt, ein cooles Auto fährt – aber ohne dabei ein Macho-Verhalten wie Trump an den Tag zu legen. Er machte Frauen nicht runter, beleidigt nicht Minderheiten, trägt Maske. In den Swing States wie Michigan und Wisconsin sind viele Wähler genau diese „Regular Guys“, und die konnte Biden ansprechen. Denen ist an Hetze gegen Ausländer und sexistischen Sprüchen nichts gelegen.

Frage: Was könnte in den USA unter Joe Biden als Präsident sofort besser werden?

Lambsdorff: Ganz sicher ist die Gesundheitsversorgung nicht mehr so in Gefahr wie unter Trump. Die Umweltpolitik wird wichtiger werden, der Respekt für Minderheiten wird von der Staatsspitze wohl künftig artikuliert. Damit wird sich die politische Kultur im Land wandeln.

Frage: Das Land steht also vor einem Paradigmenwechsel in der Innenpolitik?

Lambsdorff: Das nicht, aber es werden sich einige Dinge in den USA ändern: Biden hat Steuererhöhungen für Unternehmen angekündigt und eine Anhebung des Mindestlohns auf 15 Dollar, das kommt natürlich gut bei der linken Wählerschaft an. Die Aufgabe von Biden wird dennoch sein, das Land jetzt zusammenzuführen und den Trump-Anhängern ein Angebot zu machen, damit sie sich auch von ihm vertreten fühlen.

Frage: Was bedeutet der Sieg von Biden für Deutschland?

Lambsdorff: Mit einem US-Präsident Joe Biden hätte die Bundesrepublik wieder einen Partner, mit dem man freundschaftlich reden kann. Jemanden, der die Europäische Union kennt, das ist ja nicht selbstverständlich für US-Amerikaner. Ich habe Biden übrigens mal selbst getroffen. Das war ein sehr gutes Meeting. Sehr normal, sehr zugänglich und uneitel, gut vertraut mit den Abläufen in Europa. Ich kann mir gut vorstellen, dass mit ihm die transatlantischen Beziehungen deutlich einfacher werden, wenngleich natürlich nicht alle Uneinigkeiten damit ausgeräumt sind. Aber der erste Schritt in die richtige Richtung ist gemacht.

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