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LAMBSDORFF-Interview: Die EU ist wie der Kölner Dom
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „Zeit Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Angelika Finkenwirth:
Frage: Die FDP wird am heutigen Sonntag Generalsekretärin Nicola Beer zur Spitzenkandidatin für die Europawahl wählen. Sie blicken auf langjährige Erfahrungen im EU-Parlament zurück. Was raten Sie Ihrer Nachfolgerin?
Lambsdorff: Dass sie sich dieser Aufgabe mit Leib und Seele verschreibt. Europa ist hier und da reformbedürftig, es gibt Baustellen wie den digitalen Binnenmarkt, Grundwertefragen oder die Sicherheitspolitik. Aber es ist eine Chance und ein großes Privileg, dort arbeiten zu dürfen. Die EU ist wie der Kölner Dom: Er muss von jeder Generation weitergebaut werden.
Frage: Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wirft Beer Nähe zur rechtskonservativen Regierung von Victor Orbán in Ungarn vor. Sie weist das zurück. Aber hat sie wirklich alle Zweifel ausräumen können? Kann Beer noch glaubhaft die Partei für die Europawahl vertreten?
Lambsdorff: Natürlich. Nicola Beer hat in den letzten Jahren bewiesen, dass sie konsequent für Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte eintritt, sei es in Ungarn, Polen oder anderen Ländern.
Frage: Wird die Frage Einfluss auf ihr Wahlergebnis haben?
Lambsdorff: Ich bin sicher, dass die Partei hinter Nicola Beer steht. Wenn Sie sich darüber hinaus die Top-Leute der FDP anschauen, sehen Sie viele junge, engagierte Kandidatinnen und Kandidaten, denen Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit zentrale Anliegen sind. Direkt nach Nicola Beer kandidiert ja Svenja Hahn für die Jungen Liberalen auf Platz 2. Wenn überhaupt, dann wird unsere Liste eher bürgerrechts- als wirtschaftslastig.
Frage: Nicola Beer wird in Deutschland unter anderem mit SPD-Kandidatin Katarina Barley, Unionskandidat Manfred Weber, der grünen Europapolitikerin Ska Keller und dem AfD-Kandidaten Jörg Meuthen konkurrieren. Was bringt Beer mit, was die anderen nicht haben?
Lambsdorff: Überzeugung und Kompetenz. Sie steht für ein freiheitliches Europa, das sich nicht im Kleinen verlieren will, sondern sich um die großen Fragen kümmert, um Freiheit, Chancen und die Selbstbehauptung Europas in einer dramatisch veränderten Welt. Zudem war sie schon Europastaatssekretärin, spricht fließend Englisch und Französisch, kennt sich einfach sehr gut aus. Und nicht zu vergessen: Mit Nicola Beer schickt die FDP ein politisches Schwergewicht ins Rennen. Das zeigt, wie wichtig uns diese Wahl ist.
Frage: Einen europäischen Spitzenkandidaten wollen die Liberalen nicht aufstellen. Warum?
Lambsdorff: Wir werden im Frühjahr ein europäisches Spitzenteam küren, um Wahlkampf in verschiedenen Ländern in der jeweiligen Landessprache machen zu können. So erreichen wir die Menschen besser, als wenn der Wahlkampf auf Englisch geführt wird, womit man nur die Eliten anspricht. Ich persönlich hätte mich auch für eine einzige europäische Spitzenkandidatin erwärmen können.
Frage: Wer wäre das gewesen?
Lambsdorff: Margrethe Vestager, die Wettbewerbskommissarin. Sie schaut Google, Amazon und Apple auf die Finger und sorgt damit für fairen Wettbewerb in Europa, in dem auch Start-ups eine Chance haben.
Frage: Der französische Präsident, Ihr politischer Partner Emmanuel Macron, wollte keinen europäischen Spitzenkandidaten. Haben Sie sich seiner Meinung untergeordnet?
Lambsdorff: Nein. Als Liberale sind wir froh, gemeinsam mit Macrons Partei En Marche für ein freies, dynamisches und sicheres Europa zu werben. Dafür brauchen wir einen starken deutsch-französischen Motor. Und da gibt es natürlich immer auch Kompromisse. Wirklich wichtig ist aber die Stärkung der deutsch-französischen Achse, diese Kooperation ist ein Beitrag dazu.
Frage: Die Konservativen haben sich auf einen Kandidaten verständigt, der gute Chancen hat, neuer EU-Kommissionspräsident zu werden: Manfred Weber. Sie kennen ihn noch aus ihrer Zeit im EU-Parlament. Wie bewerten Sie seine Kandidatur?
Lambsdorff: Manfred Weber ist verlässlich und will den Erfolg der Europäischen Union. Ich habe ihn immer als sehr sympathischen Kollegen erlebt. Aber er grenzt sich zu wenig von den Europafeinden in der EVP ab, immerhin geht er an der Seite von Viktor Orbán in den Wahlkampf. Er hat zudem keine Exekutiverfahrung, war nie in einer Regierung. Der sozialdemokratische Kandidat, der Niederländer Frans Timmermans, ist dagegen jetzt schon erster Vizepräsident der europäischen Kommission.
Frage: Können sich die Liberalen vorstellen, Timmermanns bei der Wahl des Kommissionspräsidenten zu unterstützen?
Lambsdorff: Die Frage stellt sich nun wirklich nicht. Die Liberalen werden den Wahlkampf mit einem eigenen, starken Team bestreiten. Wer dann die Mehrheit für den Posten des Kommissionpräsidenten bekommt, wird man sehen. Klar ist nur, dass es spannend wird.
Frage: Warum positioniert sich die FDP im Europawahlkampf so klar an der Seite von Macron?
Lambsdorff: Macron hat eine zentrale These, seine Philosophie, sozusagen: Wir brauchen ein starkes Europa und dafür braucht es ein starkes Frankreich, welches es wiederum nur mit einer starken Wirtschaft gibt. Das ist exakt unsere Einstellung. Wir wollen den Erfolg der Europäischen Union und wissen, dass dafür in den Mitgliedsstaaten liberale Wirtschaftspolitik gemacht werden muss, damit die Menschen gute Arbeit finden, wir eine stabile Währung haben und sowohl Umweltschutz als auch sozialen Zusammenhalt finanzieren können. So erklären sich ja auch Macrons Unternehmenssteuerreform oder seine Arbeitsmarktpolitik – es geht darum, Frankreich im Interesse Europas wirtschaftlich wieder nach vorne zu bringen.
Frage: Ist diese Allianz angesichts des schwindenden Rückhalts, den Macron im eigenen Land erlebt, eine kluge Wahl?
Lambsdorff: Das hat keinen Einfluss auf unsere Zusammenarbeit. Auch wir als deutsche FDP haben schon Solidarität erlebt: Wir sind 2013 aus dem Bundestag geflogen, mussten 2014 sehr geschwächt und praktisch ohne Budget in die Europawahl ziehen und trotzdem haben unsere liberalen Schwesterparteien in der ALDE – so heißt die europäische liberale Partei – weiter eng mit uns zusammengearbeitet.
Frage: Macron will Europa reformieren und näher zusammenbringen, zum Beispiel auch durch ein gemeinsames Eurozonenbudget. Das passt nicht zur Position der FDP.
Lambsdorff: Das ist einer der wenigen Punkte, bei dem wir nicht mit Macron übereinstimmen. Wir sind sehr für die interregionale Solidarität, die den europäischen Haushalt ja auch charakterisiert. Die FDP hat kein Problem damit, dass Deutschland mehr in den europäischen Haushalt einzahlt als andere Länder. Aber ein Eurozonenbudget funktioniert nicht.
Frage: Warum nicht?
Lambsdorff: Das Budget soll einem EU-Land helfen, wenn es in eine große Krise gerät. So etwas kann man doch nicht budgetieren, das hieße ja sonst, dass man jedes Jahr mit einer großen Krise irgendwo rechnet. Also liefen wir dann Gefahr, dass sich Länder ihre Versäumnisse in Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus diesem Topf finanzieren lassen und damit jeder Anreiz für erfolgreiche Wirtschaftspolitik verloren ginge. Außerdem: Wenn so ein Budget makroökonomisch wirksam sein soll, dann muss so viel Geld zurückgelegt werden, dass es illusorisch wird. Denken Sie mal an den bilateralen Kredit, den das zahlungsunfähige Griechenland 2010 von den anderen Europäern bekommen hat: 110 Milliarden Euro. Das kann man nicht jedes Jahr für ein Eurozonenbudget zurücklegen. Der gesamte EU-Haushalt beträgt ja gerade einmal 140 Milliarden Euro.
Frage: War die Griechenlandrettung damals richtig?
Lambsdorff: Definitiv. Trotzdem ist Griechenland noch nicht über den Berg. Das Land muss seinen Konsolidierungskurs fortsetzen – und wir müssen sehen, wie sich die politische Situation in Griechenland nach den Wahlen im Herbst gestaltet.
Frage: Als einer der wenigen deutschen Politiker gehen Sie schon heute fest von einem ungeordneten Brexit aus. Sie kritisieren, dass die Bundesregierung dafür keinen Notfallplan hat.
Lambsdorff: Ja, Wir brauchen einen Notfallplan wie in Frankreich, damit jeder weiß, was an Hilfen geleistet werden muss. Die Bundesregierung muss sagen: Was ist geplant, was passiert in Bezug auf Aufenthaltstitel, binationale Ehen, Rentenzahlungen und so weiter. Die Unternehmen haben das Problem, dass Großbritannien möglicherweise ab dem 30. März ein Drittland ist und damit Zollformalitäten fällig werden. Viele Unternehmen, die im Binnenmarkt tätig sind, haben gar keine Abteilung mehr dafür. Die Bundesregierung lässt sie im Regen stehen.
Frage: Welche Lehren sollte die EU aus dem Brexit-Drama ziehen?
Lambsdorff: Nationale Politiker müssen erkennen, dass man die Europäische Union nicht jahrzehntelang immer nur schlecht reden kann und dann erwarten, dass die Bevölkerung das Projekt Europa unterstützt. Das passt nicht zusammen. Die britischen Tories, aber manchmal sogar auch die Labour-Partei, haben immer wieder geschimpft, unter welch einem schweren Joch das Vereinigte Königreich angeblich durch diese fürchterlichen Brüsseler Bürokraten zu leiden habe – und im Referendum haben sie dann erklärt, es sei so schön mit Brüssel, man müsse für den Verbleib stimmen. Wer soll das noch glauben? Die nationale Politik hat eine Verantwortung für den Erfolg Europas. Konstruktive Kritik ist richtig, aber Brüsselbashing führt zu Europaverdrossenheit oder, noch schlimmer, zu einem Debakel, wie es sich jetzt in Großbritannien abspielt.