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LAMBSDORFF-Interview: Es ist sehr knapp und bleibt spannend am Wahltag
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „MDR“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Hanno Griess:
Frage: Graf Lambsdorff, bekommen wir mit dieser Parlamentswahl in Italien ein Chaos?
Lambsdorff: Das kann passieren. Man kann das auch nicht beschönigen. Es gibt eine Bewegung in Italien, das ist die „Gegen-Alles-Bewegung“ sozusagen, die 5-Sterne-Bewegung von Beppe Grillo, einem ehemaligen Clown, und die ist die stärkste Partei in allen Umfragen. Das heißt, dass die Mitte-Rechts und Mitte-Links-Parteien gegen die 5-Sterne-Bewegung kaum eine Mehrheit zustande bekommen und dann wird es wirklich schwierig.
Frage: Heißt das auch, dass die 5-Sterne-Bewegung sozusagen den neuen Premierminister stellen wird?
Lambsdorff: Da gibt es intern einen großen Streit. Der Gründer Beppe Grillo ist dagegen, dass man sich in irgendeiner Form an irgendeiner Regierung beteiligt, denn er will wirklich Fundamentalopposition. Allerdings darf er selber gar nicht kandidieren, er ist vorbestraft durch Geschehnisse aus seiner Jugend. Der Parteiführer im Parlament, Herr di Maio, sieht es anders, der würde gerne regieren. Dieser Streit schwelt auch noch wenige Tage vor der Wahl, insofern man kann nicht sagen, was 5-Sterne nach der Wahl tut. Es kann sein, dass sie sich beteiligen. Es kann sein, dass sie sich spalten und koalieren. Alles ist offen.
Frage: Und Sie halten es nicht für möglich, dass die anderen Parteien links und rechts von den 5-Sternen, sozusagen um die größte Partei herum, eine Regierung bilden?
Lambsdorff: Es gibt eine kleine Chance und das ist im Grunde die Hoffnung der meisten Beobachter in Brüssel und in anderen europäischen Hauptstädten. Und das klingt jetzt verrückt, wenn man das sagt, aber diese Hoffnung heißt Silvio Berlusconi. Ja, ich weiß, er war schon 17 Jahre Premierminister und hat sich nun wirklich nicht durchgehend mit Ruhm bekleckert, aber Berlusconi ist der Anführer der Forza Italia, also der größten konservativen Partei und Kraft und mit der Lega Nord zusammen, einer Partei, die bei uns eher der AfD nahestehen würde, könnte es gelingen, dass er eine Mehrheit schafft. Allerdings, dazu braucht er 40 Prozent und dazu fehlen ihm nach den aktuellen Umfragen ca. 500 – 600.000 Stimmen. Also: Es ist sehr sehr knapp und bleibt sehr sehr spannend am Wahltag in Italien.
Frage: Woran liegt das eigentlich alles? Hat die bisherige Regierung, die jetzt noch im Amt ist, so schlecht ihren Job gemacht?
Lambsdorff: Es gibt eine völlig paradoxe Situation. In Italien hat man einen wahnsinnig beliebten Premierminister, Paolo Gentiloni von den Sozialdemokraten, aber seine Partei wird ähnlich wie die deutschen und französischen Sozialdemokraten aller Voraussicht nach schwerste Verluste erleiden. Einfach deswegen, weil sie versucht hat, einige Reformen durchzuführen und damit vielen Menschen auf die Füße getreten ist. Wenn sogar die Süddeutsche Zeitung, die ist ja nun wirklich liberaler Sympathien unverdächtig, schreibt, „Italien braucht noch mehr liberale Reformen“, in der Wirtschaftspolitik, in der Arbeitsmarktpolitik, bei den Steuern usw., dann merkt man schon, dass ein Mann wie Gentiloni, der versucht hat, genau solche Reformen zu machen, aber nicht genug erreicht hat, seine linken Anhänger verprellt hat. Deswegen vermutlich wird die italienische Sozialdemokratie die gleichen Schwierigkeiten haben wie die deutsche oder die französische.
Frage: Deutschland ist ja im Moment auch nicht gerade in einer Führungsrolle in Europa. Wenn das so ausgeht, wie Sie eben skizziert haben, bei dieser Parlamentswahl, welche Folgen hätte das dann für Europa?
Lambsdorff: Also wir sind eine gewisse italienische Instabilität eigentlich schon gewohnt, wenn man ehrlich ist. In Italien war das immer üblich, dass es ein wenig schwieriger ist und dass die Regierungen auch nicht so lange halten. Der italienische Staatsapparat funktioniert relativ verlässlich. Die Spitzenbeamten, die Verwaltung, das ist zwar alles nicht perfekt, aber wenn schwierige Verhältnisse nach der Wahl herrschen, dann wird das, glaube ich, Europa nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Allerdings ist, wenn man das gesamte Bild in Europa anschaut, und Sie haben es ja am Anfang in der Anmoderation getan, dann muss man sich schon fragen, wie sieht es eigentlich mit den Nationalstaaten in Europa aus, mit den politischen Systemen. Brauchen wir neue Antworten? Denn wir können sie nicht den Trumps, der AfD oder den Beppe Grillos dieser Welt überlassen.
Frage: Sie glauben aber nicht, dass sich Italien abwenden wird von Europa, wie andere das tun, dass es zu einer Bewegung kommt wie in Großbritannien?
Lambsdorff: Also es gibt einige dort, die sehr euroskeptisch aufgestellt sind. Ich habe ja die Lega Nord erwähnt, die ist auf einem ähnlichen Kurs wie bei uns die AfD, aber beispielsweise hat sich die Bewegung von Grillo, die 5-Sterne-Bewegung, von ihrer Anti-Euro-Position wegbewegt und will also nicht mehr ein Referendum über den Austritt Italiens aus dem Euro. Berlusconi selber ist stark pro-europäisch, das Gleiche gilt für Gentiloni. Mit anderen Worten, das Bekenntnis zur europäischen Einigung ist mit dem Brexit-Referendum in Italien sogar noch stärker geworden. An der Stelle erwarte ich eigentlich wenig Unruhe.