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LAMBSDORFF-Interview: Deutschland muss sich auf harten Brexit einstellen
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab „NDR Info“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Jessica Chmura:
Frage: Sie haben am Abend getwittert: „Und morgen, trotz allem, English Breakfast Tea.“ Haben Sie sich da schon einen Vorrat angelegt?
Lambsdorff: Ja, ich habe einen kleinen Vorrat an English Breakfast Tea. Aber was ich damit sagen wollte, ist, dass bei aller Aufregung, die Sie gerade völlig richtig angesprochen haben, ja wichtig ist, dass Großbritannien unser Freund, unser Partner bleibt trotz des politischen Chaos dort. Und ich sage mal aus Sicht der Liberalen: Wir würden uns immer noch freuen, wenn die Briten es sich anders überlegen würden, in der Europäischen Union blieben und dann hoffentlich irgendwann das Ganze wieder in ein politisch sinnvolles, vernünftiges Miteinander sich umwandelt. Leider sieht es zurzeit aus, als ob das ein bisschen ein frommer Wunsch wäre, aber trotzdem, man darf ja mal auch sich was wünschen.
Frage: Das darf man auf jeden Fall. Wie sollte denn aber jetzt trotz allem Europa, wie sollte Deutschland reagieren auf die Entscheidung?
Lambsdorff: Ich glaube, wir müssen ganz klar sehen, dass die Chance dafür, noch einen geordneten Brexit hinzubekommen, jetzt wirklich nur noch verschwindend gering ist. Der harte Brexit, der ungeordnete Brexit wird immer wahrscheinlicher. Und deswegen glaube ich, ist es wichtig, dass sich die EU-27, also die anderen Staaten, zusammensetzen und das tun, was der luxemburgische Premierminister gestern auch getwittert hat, nämlich sich gemeinsam auf den harten Brexit einstellen. Das ist ja für unsere Unternehmen, aber auch für ganz viele Menschen auf beiden Seiten des Kanals ein Riesenproblem. Niemand weiß ganz genau, was jetzt passiert. Man kann es ungefähr ahnen, aber man muss sich da gemeinsam drauf vorbereiten. Auch in Berlin muss die Bundesregierung Vorbereitungen treffen, die sind bisher alle nur von der Annahme ausgegangen, dass wir dieses Abkommen durchbekommen. Jetzt haben wir noch 70 Tage, 72 Tage Zeit. Also es wird auch höchste Zeit, dass in Berlin die Vorbereitungen anziehen.
Frage: Wie sehen denn diese Vorbereitungen aus, also was muss konkret passieren?
Lambsdorff: Ganz konkret müssen zum Beispiel, das betrifft ja auch nehmen wir mal den Hamburger Hafen oder Bremen, es betrifft Zollabfertigungen. Das heißt, es müssen jetzt Produkte, die nach England geschickt werden oder nach Schottland, müssen ja verzollt werden aller Voraussicht nach, wenn es zu dem Brexit kommt. Großbritannien wird ein Drittstaat und wird damit ein Angehöriger der Welthandelsorganisation. Das ist dann so ähnlich wie mit Japan oder Uruguay. Also mit anderen Worten: Es gibt eine völlig andere Art des Umgehens im Wirtschaftsbetrieb. Das nächste ist: Die Menschen, die auf der Insel wohnen und beispielsweise Rentenzahlungen aus Deutschland beziehen, oder aber Briten, die bei uns wohnen und hier Rentenzahlungen aus Großbritannien beziehen. Geht das einfach so weiter? Da muss Klarheit her. Was ist mit Studierenden? Was ist mir ihren Stipendien? Was ist mit dem Aufenthaltsrecht? All diese Fragen müssen geklärt werden. Und da ist bisher leider aus der Bundesregierung nicht viel zu hören gewesen. Die Europäische Kommission hat das, was sie machen kann, getan. Aber jetzt nehmen wir beispielsweise mal das Aufenthaltsrecht. Also Briten, die in Hamburg oder in Kiel oder in Rostock wohnen, die wissen ja nicht genau wie es weitergeht. Und das ist eben keine Angelegenheit der Europäischen Kommission, sondern das ist eine Angelegenheit der Bundesregierung und da müssen jetzt dringend Informationen an die Menschen geschickt werden.
Frage: Das ist die eine Seite. Aber kommen wir nochmal auf die europäische Seite zu sprechen. Wäre es denn auch möglich, denkbar, aus Ihrer Sicht, dass die EU jetzt sagt: „Naja, ach komm, damit das irgendwie gut geht, wir gehen nochmal auf die Briten zu, verhandeln da nochmal nach.“ Oder ist das utopisch?
Lambsdorff: Naja, wir sind den Briten ja unheimlich entgegengekommen. Präsident Macron hat sich ja auch entsprechend geäußert. Er sieht überhaupt nicht, wo man den Briten noch weiter entgegenkommen könnte. Die wollten raus aus der Europäischen Union. Das ist eine demokratische Entscheidung. Wir bedauern das, aber wir respektieren das ja auch. Und dann haben sie gesagt, sie wollen auch raus aus dem Binnenmarkt, also aus dem gemeinsamen Wirtschaftsraum. Auch das wurde respektiert. Und dann wollten sie raus aus der Zollunion, gleichzeitig aber vermeiden, dass es eine harte Grenze in Irland gibt. Wir haben es mit dem Verhandlungsführer Michel Barnier hinbekommen, dass wir all das irgendwie in diesem Abkommen abgebildet haben. Das heißt die britischen Wünsche sind respektiert worden. Und wo man ihnen jetzt noch entgegenkommen sollte – es fehlt wirklich allen, angefangen von denen, die die Verhandlungen geführt haben, bis hin zu jemandem wie Präsident Macron die Phantasie zu sehen, wo das wirklich in den großen Fragen noch gelingen kann. Und ich will eines auch sagen: Ich glaube für diejenigen, die diesen harten Brexit auf der Insel wollen, die harten Tories aber eben auch die doch sehr, sehr linksextrem abgedriftete Labour-Partei, gibt es gar keine Fragen von Details. Für die ist es jetzt eine Frage der Konsequenz. Raus, schnell raus, auch wenn es chaotisch ist. Sie sagen zwar, sie wollen einen geordneten Brexit. Das Abkommen, das gestern auf dem Tisch lag, war gut geeignet dafür. Sie haben es niedergestimmt und jetzt haben wir die Situation, dass wir uns auf den harten Brexit einstellen müssen.
Frage: Und Sie meinen, es kommt auch der harte Brexit?
Lambsdorff: Ja, ich glaube, dass die Chancen, das jetzt nochmal abzuwenden, verschwindend gering sind. Ich sage nochmal aus Sicht der Liberalen – Großbritannien ist ja das Mutterland des Liberalismus – wäre es schön, die Briten würden einfach den Antrag auf Austritt zurückziehen. Aber damit rechne ich nicht und deswegen vermute ich, es wird zum harten Brexit kommen. Und deswegen brauchen wir eben auch dieses Gipfeltreffen der EU-27, also der EU ohne Großbritannien, um gemeinsam die Vorbereitungen zu treffen.