Dr. Marco Buschmann
Pressemitteilung

BUSCHMANN/SCHNEIDER-Streitgespräch: Sie können keinen Tag X erwarten, an dem alles vorbei ist

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann und der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion Carsten Schneider im Streitgespräch für die „Welt“ (Montagsausgabe). Die Fragen stellten Thorsten Jungholt und Geli Tangermann:

Frage: Herr Buschmann, Herr Schneider, als Erste Parlamentarische Geschäftsführer Ihrer Fraktionen arbeiten Sie an einer der zentralen Schaltstellen des Bundestags. Wird das Parlament in dieser beispiellosen Krise seiner Aufgabe gerecht, die Regierung zu kontrollieren?

Buschmann: Absolut. In der ersten Phase, als es um die schnelle Krisenabwehr ging, haben wir ein großes Gesetzespaket auf den Weg gebracht und gezeigt, dass unsere Demokratie handlungsfähig ist. Wir haben auch der Versuchung widerstanden, vorschnell Parlamentsrechte einzuschränken, gar ein Notparlament einzurichten. Aber wahr ist auch, dass es nach wie vor eine ungewöhnliche Machtfülle der Regierung gibt, genauso wie es ungewöhnliche Einschränkungen für die Bürger gibt. Es ist jetzt Zeit, dafür zu streiten, diese Freiheitseinschränkungen auf das unbedingt notwendige Maß zurückzuführen. Dass es massive Übertreibungen gab, zeigt ja eine ganze Fülle gerichtlicher Entscheidungen in den Ländern und beim Bundesverfassungsgericht.

Schneider: Es ist eine Zeit der Bewährung. Die Gerichte korrigieren Verwaltungsentscheidungen. Auch dadurch zeigt sich ja unser funktionierender Rechtsstaat. Im Bundestag haben wir bisher eine sehr konstruktive Haltung der Oppositionsfraktionen erlebt, auch zuletzt bei der Verabschiedung des Nachtragshaushalts. Die Regierung hat großen Spielraum bekommen, allein mit 55 Milliarden Euro für pauschale Ausgaben. Das ist ein Vertrauensvorschuss. Ich habe deshalb von Beginn an verlangt, dass die Regierung alle Fraktionen umfassend informiert. Das geschieht. Es gibt also keinen Grund, an der Funktionsfähigkeit unserer parlamentarischen Demokratie zu zweifeln.

Frage: Die Bundeskanzlerin ist ja anders als früher bemüht, das Regierungshandeln zu erklären. Gelingt ihr das?

Schneider: Ich habe zumindest den Eindruck, dass sie im Gegensatz zu dem einen oder anderen Ministerpräsidenten ihrer Parteifamilie kein Profilierungsinteresse hat. Auch weil es ja ihre letzte Legislatur ist.

Frage: Sicher? Sie trifft derzeit auf große Zustimmung in der Bevölkerung.

Schneider: Ein Teil der Zustimmung für die Kanzlerin hat auch damit zu tun, dass sie mit Olaf Scholz ein funktionierendes Duo bildet. Aber ganz ehrlich: Wenn das Zitat stimmt, das aus der Telefonschalte des CDU-Präsidiums durchgestochen wurde, ist es problematisch. Es gibt keine „Öffnungsdiskussionsorgien“. Wir müssen immer wieder um den richtigen Weg ringen, und das natürlich öffentlich. Was denn sonst?

Buschmann: Noch nie hat dieses Land so einschneidende Freiheitsbeschränkungen erlebt wie jetzt. Und natürlich muss die Bundeskanzlerin deshalb so viel erklären wie nie. Was mir gefällt, ist ihr ruhiger Ton. Was mir nicht gefällt, ist die Kritik an den Öffnungsdebatten. Das war auch ein Grund, dass es zu diesen Übertreibungen in den Ländern gekommen ist, von denen Herr Schneider sprach. Denn viele Entscheidungsträger orientieren sich natürlich an der Regierungschefin.

Frage: Merkel und die CDU haben hohe Umfragewerte, die FDP nicht.

Buschmann: Natürlich versammeln sich die Menschen in einer Krise hinter der Regierungschefin. Das ist fast völlig unabhängig davon, welcher Partei die Regierungschefs angehören oder wie erfolgreich sie sind. Warten wir mal ein paar Monate ab, dann wird die Stimmungslage anders aussehen. Wir sind mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik. Da muss Bundeskanzlerin Merkel in Debatten über die Finanzierung des Staates, auch des Sozialstaates, Position beziehen. Das sind Diskussionen, denen sie sich gerne verweigert.

Frage: Was ist eigentlich das Ziel der Regierung Merkel in dieser Pandemie? Zuerst sollte die Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden, dann die Geschwindigkeit der Verdoppelung der Infektionszahlen reduziert werden. Es folgte die Reproduktionsrate. Jetzt fordert das Robert-Koch-Institut, die Zahl der Neuinfektionen auf „wenige Hundert“ zu drücken. Was denn nun?

Schneider: Sie können in einer Lage, die es so noch nicht gegeben hat, von der Politik keine wissenschaftlich fundierte Berechnung eines Tags X erwarten, an dem alles vorbei ist. Wir verfahren deshalb in Teilen auch nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum. Solange wir nicht über einen Impfstoff verfügen, können wir nur schrittweise vorgehen und behutsam öffnen. Und dabei passieren auch Fehler.

Buschmann: Im Kern muss doch das Ziel sein, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Dafür sind zwei Zahlen entscheidend: die intensiv behandlungsbedürftigen Infektionsfälle und die intensivmedizinischen Plätze. Die muss man zueinander ins Verhältnis setzen. Das ist natürlich komplizierter, als eine einzelne Zahl zu nennen. Aber es kommt der wirklichen Gefahrenlage näher.

Frage: Die Entscheidung über Schulöffnungen und Ausweitung der Kita-Betreuung ist auf den 6. Mai vertagt worden. Aber schon jetzt sind viele Eltern an der Belastungsgrenze.

Schneider: Auch meine Kinder können nicht in die Schule gehen. Familien in kleinen Wohnungen ohne Balkon oder gar Alleinerziehende sind aber viel, viel schlimmer dran. Es belastet mich sehr, dass wir nichts Genaues wissen über die Frage, ob Kinder diese Infektion verbreiten oder eben nicht – und dennoch die Kitas und Schulen geschlossen haben. Wir handeln mit dem Wissen des Nichtwissens. Ich hoffe, dass wir möglichst bald belastbare Studien bekommen. Bis dahin geht Gesundheitsschutz vor.

Buschmann: In Neuseeland und in den Niederlanden haben Regierungen mit dem gleichen Kenntnisstand die Kitas wieder aufgemacht.

Schneider: Wenn Sie Mitglied der Bundesregierung wären, würden Sie dafür plädieren, alle Schulen und Kitas aufzumachen?

Buschmann: In der Tat ist es so, dass die in Nordrhein-Westfalen für Schule und Kitas zuständigen FDP-Minister die Spitze der Bewegung in Deutschland bilden, die Optionen aufzeigen, wie wir möglichst schnell den Betrieb wieder öffnen können.

Schneider: Haben Sie also das Wissen, mit dem Sie hundertprozentig sagen können, die Kinder verbreiten das Virus nicht? Ich habe es nicht. Also müssten wir ein Risiko eingehen, denn wirksame Hygienevorschriften zwischen Kindern in den Kitas können Sie vergessen. Meine politische Abwägung lautet also: Ich gehe dieses Risiko nicht ein. Dazu stehe ich.

Frage: Herr Buschmann, Sie haben ja bereits vor einiger Zeit vor einer Revolution der Mittelschicht gewarnt, sollten die Zumutungen länger andauern. Wann geht es los?

Buschmann: Menschen mit Mistgabeln gehen auf die Barrikaden – so haben mich einige interpretiert. Das ist Unsinn. Mein Weckruf lautet: Wenn wir Einschränkungen ohne Augenmaß beibehalten, wird die Wirtschaft zusammenbrechen. Menschen werden ihre Arbeitsplätze verlieren, ihr Erspartes wird aufgebraucht sein. Und dann suchen sich manche Betroffene Sündenböcke. Ich habe dieses Risiko thematisiert, damit es sich nicht realisiert.

Schneider: Ich halte nichts davon, dass wir Existenzängste in einer extrem angespannten gesellschaftlichen Situation noch befeuern. Wir haben gut vorgesorgt und – anders als die FDP das früher immer vorgeschlagen hatte – die Reserven der Sozialversicherung nicht ausgeschüttet, sodass wir jetzt in der Krise mit einem starken Sozialstaat die Existenzsorgen auffangen können.

Frage: Der Bund hat eine Neuverschuldung in dreistelliger Milliardenhöhe beschlossen. Woher soll das Geld zur Tilgung eigentlich kommen?

Schneider: Das Ziel der SPD ist, dass wir die Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erhalten. Das heißt aber auch, dass wir eine weiterhin weltoffene Handelsnation mit einem starken Forschungsbezug bleiben wollen und nicht in Richtung Abschottung und Nationalisierung gehen. Da zeichnet sich im Zuge der Pandemie leider ein Megatrend ab. Wir haben eine Gesamtverschuldung des Staates, die unter 60 Prozent liegt. Bei der Finanzkrise lag man zunächst bei 83 Prozent. Jetzt gehen wir wahrscheinlich in Richtung 75 Prozent. Das ist tragfähig.

Buschmann: Entscheidend ist, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Dabei ist es natürlich nicht hilfreich, wenn als Erstes vonseiten der SPD Debatten über Steuererhöhungen und eine Vermögensabgabe in den Raum gestellt werden. Es wäre geradezu grotesk, wenn man erst öffentliches Geld in die Unternehmen pumpt, um die Arbeitsplätze zu erhalten, und es dann über besagte Abgaben gleich wieder herauszieht.

Schneider: Die FDP behauptet gern, Deutschland habe die höchsten Steuersätze. Das ist falsch. Wir haben mittlere Steuersätze, die Steuerquote liegt gerade mal bei etwa 23 Prozent. Und wir haben eine hervorragende Infrastruktur, ein exzellentes Gesundheitswesen und ein Bildungssystem, das noch besser werden soll. Das kostet aber auch etwas. Und ich werde mich strikt dagegen wehren, dass die Armen am Ende die Rechnung bezahlen. Es muss eine faire Lastenverteilung in Deutschland geben.

Frage: Bei all den Milliarden, die jetzt zusätzlich fließen: Sind Vorhaben wie die Grundrente noch finanzierbar?

Schneider: Absolut. Diejenigen, die Grundrente bekommen, sind doch die, für die aktuell laut applaudiert wird: die Kassiererin im Supermarkt oder die Teilzeitkraft in der Pflege. Menschen, die lange keine Tarifverträge hatten und unter Mindestlohn für drei oder vier Euro pro Stunde gearbeitet haben. Durch die Finanztransaktionssteuer, die Olaf Scholz vorgeschlagen und auf EU-Ebene auch mit auf den Weg gebracht hat, ist das finanzierbar.

Buschmann: Wir wissen, dass die Finanztransaktionssteuer nicht kommen wird, auch wenn die SPD sie immer wieder ins Schaufenster stellt. Die Grundrente ist zudem ungerecht, weil nur Beitragsjahre zählen und nicht Altersarmut. Und sie ist natürlich wesentlich teurer, als der Finanzminister immer wieder behauptet: langfristig bis zu 13 Milliarden pro Jahr. Es ist gerade jetzt, wo wir in der schwersten Wirtschaftskrise stecken, nicht zu verantworten, ein solches Gießkannenprojekt im Galopp durchs Parlament zu schleusen.

Schneider: Galopp? Davon kann nicht die Rede sein. Wir werden ein ganz normales Gesetzgebungsverfahren haben, in dem Sie die Ungerechtigkeiten, die Sie sehen, gern benennen können. Aber wir können doch nicht im Bundestag aufstehen und denjenigen applaudieren, die unter Gefährdung ihrer Gesundheit die Kohlen aus dem Feuer geholt haben. Und uns dann nicht für sie einsetzen.

Buschmann: Herr Schneider, Sie wissen doch, dass es gar nicht um konkrete Berufsbilder geht, sondern sehr stark um die Frage, wer Vollzeit oder Teilzeit gearbeitet hat. Und Sie wissen auch, dass die Grundrente deshalb ein wesentliches Gerechtigkeitsproblem hat, weil eben nicht auf Branchen oder Lebensleistung geschaut wird, sondern einfach auf eine bestimmte Zahl an Jahren.

Frage: Wenn der Staat Unternehmen wie Lufthansa rettet: Sollte er dann auch Einfluss auf die Geschäftspolitik nehmen?

Schneider: Der Staat ist nicht der dumme August, der das Geld gibt und dann nichts zu melden hat. Wer für sein Unternehmen staatliche Unterstützung beantragt, der wird auch bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. Das heißt nicht, dass der Staat Einfluss darauf nehmen soll, welche Fluglinie wohin fliegt. Aber es geht um die Frage, ob ich in so einer Situation zum Beispiel Dividende ausschütte oder nicht. Das Auftreten, das die Autobranche diesbezüglich an den Tag legt, ist an Dreistigkeit kaum zu überbieten.

Buschmann: Wo öffentliches Geld investiert wird, muss auch kontrolliert werden, ob damit verantwortungsvoll umgegangen wird. Allerdings darf sich der Staat nicht als Ersatzunternehmer aufspielen. Bei der Lufthansa war der Staat viele Jahrzehnte erst alleiniger und dann einer der wichtigsten Anteilseigner – und jetzt ist das Unternehmen trotz schwerster Existenzkrise sehr skeptisch, was die Milliardenhilfen angeht. Die Angst vor politischer Überlagerung unternehmerischer Entscheidungen muss zu denken geben.

Schneider: Fakt ist: Es gibt keinen empirischen Beleg dafür, dass der Staat der bessere oder schlechtere Unternehmer ist als der Unternehmer selbst.

Buschmann: Puh.

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