
BUSCHMANN-Gastbeitrag: Wer Informationen bunkert, sperrt die Demokratie aus
Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Marco Buschmann schrieb für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Donnerstagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:
Das Bundesministerium der Verteidigung hat innerhalb zweier Haushaltsjahre circa 200 Millionen Euro für externe Beratung ausgegeben. Als das Parlament erfahren wollte, wer zu welchem Zweck so viel Geld erhielt, gab es keine angemessene Aufklärung. Auf eine schriftliche Einzelfrage aus den Reihen der FDP-Fraktion etwa erhielten die Parlamentarier eine beinahe gänzlich geschwärzte Liste. Was der äußeren Form nach einer Antwort entsprach, war faktisch eine Auskunftsverweigerung. Der Fall ist symptomatisch für eine rechtlich pathologische Praxis im Umgang mit dem parlamentarischen Auskunftsanspruch.
Parlamentarische Demokratie schafft Akzeptanz durch Rede und Gegenrede. Mehrheit und Minderheit besitzen daher das Recht, politische Sachverhalte umfassend öffentlich darzustellen, zu bewerten und dazu Verbesserungsvorschläge machen zu können. Damit dieses Recht nicht zur leeren Hülle verkommt, sind Parlamentarier auf Informationen aus der Bundesregierung angewiesen. Denn nur sie besitzt den Zugriff auf das Wissen und die fachlichen Kenntnisse der Behörden des Bundes. Weil die Mitglieder der Bundesregierung den regierungstragenden Abgeordneten politisch näher stehen als der Opposition, besteht die Gefahr, dass es zu einer unerträglichen Ungleichheit beim Zugang zu Informationen zwischen Mehrheit und Minderheit im Parlament kommt. Daher hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Grundgesetz Informationsansprüche hergeleitet. Das Parlamentsrecht konkretisiert diese als Minderheitenrechte. Teilweise stehen sie bereits einer einzelnen Fraktion zu wie im Falle der sogenannten Kleinen oder Großen Anfrage. Teilweise stehen sie sogar dem einzelnen Abgeordneten zu wie im Falle der sogenannten schriftlichen Einzelfrage. Man könnte hier von einer Art Wettbewerbsrecht des Parlaments sprechen. Denn nur solche Regeln schaffen fairen politischen Wettbewerb.
Mit dem Informationsanspruch des Parlaments korrespondiert eine Antwortpflicht der Bundesregierung. Das hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt erst in seinem Urteil vom 7. November 2017 festgestellt. Darin heißt es: „Aus dem Frage- und Interpellationsrecht des Parlaments folgt für die Mitglieder der Bundesregierung die verfassungsrechtliche Verpflichtung, auf Fragen Rede und Antwort zu stehen. Die Bundesregierung schafft so mit ihren Antworten auf parlamentarische Anfragen die Voraussetzungen für eine sachgerechte Arbeit des Parlaments.“ Ausnahmen sind nur zulässig, soweit sie aus der Verfassung hervorgehen. Das gilt etwa bei Gefährdung der Grundrechten Dritter oder dem Staatswohl. Hierbei sind die Hürden und der Begründungsaufwand jedoch sehr hoch. Denn laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 2009 „entscheiden die Abgeordneten oder die Fraktionen darüber, welcher Informationen sie bedürfen“.
Diese rechtlichen Grenzen verletzt die Bundesregierung regelmäßig. Das Muster ist immer gleich. Zwar wird formal geantwortet. Die Antwort ist aber untauglich, ausweichend oder enthält die erfragte Information offenkundig nicht. Falls überhaupt Begründungen erfolgen, dann sind sie schablonenhaft pauschal und genügen den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts für zulässige Ausnahmen nicht. Beispiele allein nur aus der laufenden Legislaturperiode sind Legion.
Die FDP-Fraktion fragte danach, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung zum Erhalt der Bodenbiologie beitragen wolle. Die Bundesregierung antwortete, dass es Maßnahmen geben solle, die die Bodenbiologie erhalten und fördern. Der Verfasser hatte schlicht die Satzstellung und die Satzzeichen verändert und dies als Antwort ausgegeben.
Der Bundesverkehrsminister sah sich außerstande, die Frage nach Folgen planmäßig gestrichener Zugverbindungen zu beantworten. Freilich sollte ein Gutachten zum geplanten „Deutschland-Takt“, das sein Haus in Auftrag gegeben hatte, genau darüber Auskunft geben. Man kann nur hoffen, dass den Gutachtern das Honorar gestrichen wurde, falls es genauso inhaltsreich war wie die Antwort des Ministeriums ans Parlament.
Die Auskunft zur Höhe des finanziellen Schadens für die öffentliche Hand, der durch vorsätzlich falsch erstellte Bescheide in der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge entstanden ist, wurde von der Bundesregierung verweigert. Die Begründung lautete, dass das schrecklich kompliziert zu ermitteln sei. Man kann dieser Bundesregierung also offenbar nur einfache Aufgaben stellen.
Die Bundesregierung wurde weiterhin dazu befragt, welche Fortschritte es denn in den deutsch-französischen Regierungsverhandlungen über gemeinsame Vorschläge zur Reform der Währungsunion gibt. Die Antwort blieb aus. Zur Begründung hieß es, solche Verhandlungen würden nicht dokumentiert. Das hinderte die Bundesregierung freilich nicht, ihre Fortschritte eine Woche vor dem einschlägigen Ministerrat über den Kurznachrichtendienst Twitter zu dokumentieren.
Ein solcher Umgang mit den Minderheitsrechten des Parlaments ist Folge unzureichender Sanktionsmöglichkeiten für diese Form des Rechtsbruchs. Zwar können ihn die Parlamentarier in einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht rügen. Das bedeutet jedoch hohen Aufwand. Zudem vergehen bis zu einer Entscheidung Jahre. Da mit diesem zeitlichen Abstand auch die politische Bedeutung des Fragegegenstandes abnimmt, stehen Aufwand und Ertrag des Instruments für die Opposition im Regelfall in einem Missverhältnis.
Gleiches gilt für das Instrument des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Er verschafft zwar dem Parlament die Auskunftsrechte der Strafprozessordnung. Dazu müssen aber ein Viertel der Mitglieder des Parlaments einen entsprechenden Antrag tragen. Das setzt hohen Koordinationsaufwand zwischen den Oppositionsfraktionen voraus. Zudem ist das Instrument „ultima ratio“. Für Auskünfte zum Deutschland-Takt der Bahn erscheint es gewiss in krasser Weise unangemessen. Das Verfahren dauert Jahre und bindet in erheblichem Umfang Personal. Daher ist es für kleinere Anlässe völlig untauglich. Die faktische Auskunftsverweigerung ist daher für die Bundesregierung politisch hoch attraktiv. Denn sie bleibt in der Regel faktisch sanktionslos. Abhilfe könnte eine Schiedskommission leisten. Durch eine pluralistische Besetzung könnte diese die Perspektiven des Parlaments und der Bundesregierung berücksichtigen und somit unabhängig und zügig darüber urteilen, ob die durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäbe verletzt worden sind. Doch Vorschläge, um eine solche Schiedskommission einzurichten, haben die regierungstragenden Fraktionen bisher abgelehnt.
Die Bundesregierung schafft mit ihrer Praxis Wasser auf die Mühlen der „post democracy“-Theoretiker. Sie behaupten, die parlamentarische Demokratie sei nur Theaterstück, das Parlament nur Bühne und die Ergebnisse des Schauspiels stünden längst in einem Drehbuch fest, das dunkle Mächte geschrieben haben. Varianten dieser Verschwörungstheorie benutzen auch Populisten jeglicher Couleur in allen westlichen Demokratien. Umso wichtiger ist es, immer wieder zu beweisen, dass der Parlamentarismus ein ergebnisoffener Suchprozess ist. Doch diese ergebnisoffene Suche gelingt nur durch die unterschiedlichen Perspektiven von Regierung und Opposition auf die akuten Sachverhalte. Dafür ist Information unerlässlich. Wer Informationen systematisch bunkert, sperrt die Demokratie aus.