Michael Theurer
Pressemitteilung

THEURER-Gastbeitrag: Regierung muss Wohlstands-Bremsklötze jetzt lösen

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Im zweiten Quartal ist die deutsche Wirtschaftsleistung geschrumpft. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass sich dieser Trend fortsetzt. Die Bundesregierung müsste jetzt aufwachen und die Wohlstands-Bremsklötze lösen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier legt entsprechend ein Konzept zur völligen Abschaffung des Soli vor – 2026.

Wenn Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist, wie es der große Ludwig Erhard beschrieb, wie soll sich ein Vorstoß für die Soli-Abschaffung 2026 da bemerkbar machen? Psychologisch müssen sich die Handwerker, Selbstständige und Start-Up-Gründer, die den Soli weiterbezahlen müssen, doch veräppelt vorkommen. Hunderttausende Personengesellschaften, weite Teile des Mittelstands, sollen weiterzahlen.

Zur Erinnerung: Der aktuelle Soli wurde 1994 zur Finanzierung des Solidarpakts I eingeführt – Aufbau Ost. Er ist eine Ergänzungsabgabe. Das heißt: Die Einnahmen aus dem Soli sind nicht zweckgebunden, wohl aber ist seine Existenz zweckgebunden. Kohl sagte 1996, dass der Soli 1999 Geschichte sein solle. Es kam anders: Rot-Grün ließ den Solidarpakt I zwar bis 2004 auslaufen, schuf jedoch den Nachfolger Solidarpakt II. Dieser war von Anfang an bis 2019 terminiert.

Nun ist der Aufbau Ost mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen, zumal mit einem möglichen Kohleausstieg erneut große Herausforderungen auf einige Regionen zukämen. Doch der Solidarpakt II läuft aus. Damit dürfte der Soli ab dem 1.1.2020 verfassungswidrig sein – so zumindest ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Hans-Jürgen Papier. Glaubwürdigkeit bedeutet, Versprechen einzuhalten. Glaubwürdigkeit bedeutet aber auch, als Politiker nicht wissentlich und willentlich das Recht zu brechen. Wer das macht, schadet der Demokratie.

Altmaiers Vorstoß ist zwar gut gemeint, doch das reicht nicht. Der Soli muss weg. Noch dieses Jahr, für alle, vollständig. Das wäre die Grundvoraussetzung, damit man die Union bei wirtschaftspolitischen Fragen überhaupt wieder ernst nehmen kann. Denn sie hat ja den Soli-Ausstieg vor der Wahl 2017 versprochen. Was ist das für eine Politik, wenn man die Wahlversprechen dann erst in der übernächsten Legislaturperiode umsetzen will?

Der Soli-Ausstieg allein wird es jedoch nicht richten. Merkels Große Koalitionen haben über Jahre die Belastungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ausgetestet. Es war zu erwarten, dass irgendwann der Bogen überspannt ist. Die Bundesregierung muss vor dem Hintergrund der geopolitischen Herausforderungen und einer sich abschwächenden Binnenkonjunktur ihre hausgemachten Rezessionsverstärker umgehend entschärfen und ihre wirtschafts- und steuerpolitischen Hausaufgaben machen.

Als erstes muss die Dämonisierung der Automobilindustrie und das einseitige Fördern der batteriebetriebenen Elektromobilität gestoppt werden. Es ist völlig unverständlich, dass der Jobkiller Batterie von der Bundesregierung gegenüber der viel arbeitsplatzfreundlicheren Wasserstofftechnik bevorzugt wird. Etwa die Lausitz würde sich als Modellregion für Wasserstoff anbieten. Wir brauchen Technologieoffenheit – auch für klimaneutrales Benzin und Diesel aus erneuerbaren Energien, die bisher durch die Regulierung hart diskriminiert werden.

Steuerpolitisch gehört dazu auch eine Steuersenkung bei Stromsteuer, Körperschaftssteuer, Einkommenssteuer. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Normalverdienerhaushalt in Deutschland belastet wird wie in kaum einem anderen Industrieland. Genauso ist es nicht hinnehmbar, dass wir seit den Reformen in Frankreich, den USA und China die höchsten Unternehmenssteuersätze aller Industrieländer haben. Das ist ein harter Wettbewerbsnachteil.

In einem Sofortprogramm könnte die Bundesregierung insbesondere den Mittelstand auch von heute auf morgen von milliardenschweren Bürokratiebelastungen erleichtern. Das müsste sie jedoch entschlossen angehen: Die bisherigen Pläne für ein Bürokratieentlastungsgesetz 3 sind leider nicht annähernd ambitioniert genug – und selbst darüber gibt es in der Bundesregierung keine Einigkeit. Eine Entlastung der Wirtschaft um mindestens 10 Milliarden Euro Bürokratiekosten ist machbar. Denkbar sind auch Freiheitszonen in Regionen, die vom Strukturwandel besonders betroffen sind. Die FDP hat hierzu bereits einen Vorschlag im Bundestag eingebracht.

In der Größenordnung jenseits der 10 Milliarden sollte auch durch die Bundesregierung der Ausbau und die Reparatur unserer Infrastruktur – Schulen, Straßen, Brücken, Breitband – zusätzlich unterstützt werden. Das Geld dafür darf allerdings nicht aus neuen Schulden kommen – das wäre ein Dammbruch für eine neue Schuldenlawine in Südeuropa, insbesondere Italien. Stattdessen sollte die Bundesregierung ihre ordnungspolitisch unhaltbaren Unternehmensanteile veräußern. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer und es gibt keinen Grund, warum er dauerhaft an Unternehmen wie der Telekom beteiligt sein sollte.

Abschließend brauchen wir sofort ein starkes Signal für Freihandel. Die Feigheit der Bundesregierung, das Freihandelsabkommen CETA mit Kanada nicht zu ratifizieren und TTIP mit den USA nicht vorangetrieben zu haben rächt sich mit jedem Tag, an dem sich die weltweiten Handelskriege weiter zuspitzen und unsere handelsorientierte Wirtschaft beschädigen. Gerade vor dem Hintergrund eines möglicherweise chaotischen Brexit brauchen wir psychologisch wirksame Signale für den geregelten, funktionierenden, freien Welthandel. Ein Exportland wie Deutschland kann sich keine kleingeistige Abschottung leisten.

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