Stellv. Fraktionsvorsitzender

Zuständig für „Freiheit und Menschenrechte weltweit“: Auswärtiges, Angelegenheiten der Europäischen Union, Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Gastbeitrag: Europa? Mehr Debatte, bitte!

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff schrieb für die „Welt“ (Montagsausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Die Freiheit ist in der Defensive, fast überall. In dieser Situation ist die Europäische Union ein Leuchtturm der Freiheit. Doch auch bei uns gibt es Nationalismus, den Wunsch nach autoritärer Politik und wirtschaftlicher Abschottung. Deshalb gebührt Präsident Macron Dank dafür, dass er erneut seine Idee von Europa zur Diskussion stellt. Das ist gelebte Freiheit, Ausdruck der Idee Europa und Grund genug, sich ernsthaft mit seinen Konzepten zu beschäftigen.

Und was tut die Bundesregierung? Sie verhält sich so, als handele es sich bei den Vorschlägen aus dem Élysée um das Summen einer lästigen Fliege, die man am liebsten verscheuchen würde. Schon die Sorbonne-Rede des Präsidenten wurde einfach ignoriert, die aktuellen Vorschläge beantwortete nicht etwa, wie es sich gehört, die Bundeskanzlerin, sondern die CDU-Vorsitzende. Wie unzureichend die Antwort nicht nur protokollarisch, sondern auch inhaltlich ist, ist inzwischen allgemein bekannt.

Längst Beschlossenes wurde da aufgewärmt wie die Stärkung von Frontex. Ressentiments wurden geschürt mit billigen Unwahrheiten wie der von den EU-Beamten, die angeblich keine Einkommensteuer zahlten. Und dann wurde Frankreich auch noch gezielt provoziert mit der Forderung, seinen Sitz im Sicherheitsrat zu teilen oder den Parlamentssitz Straßburg ohne Gegenleistung aufzugeben. Kein Wort dagegen wurde verloren über die antisemitischen Kampagnen eines Viktor Orbán. Im letzten Jahr hat sich der Eindruck verfestigt, dass Berlin verliebt ist in den Status quo. Nicht nur national, sondern auch europäisch. Da stört ein mutiger Aufschlag wie der aus Paris die Schlafwandler im Kanzleramt.

Mit vielem hat Macron recht: Die EU-Mitgliedstaaten brauchen einen gemeinsamen Ansatz zum Schutz ihrer freiheitlichen Demokratien vor Hackerangriffen und Manipulation. Natürlich müssen sich die EU-Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Migration einigen. Die Stärkung der europäischen Verteidigung weist den richtigen Weg in die Zukunft. Wer das anders sieht: Debatte, bitte! Auch ein europäischer Sicherheitsrat stärkt Europas Sicherheit und internationale Handlungsfähigkeit. Ob man dabei Großbritannien gleichberechtigt einbinden kann? Debatte, bitte! Die Forderung nach mehr wirtschaftlicher Dynamik ist ebenfalls zentral. Wie Europa das organisieren soll, durch Agenturen oder Forschungsfreiheit und Wettbewerb? Brauchen wir wirklich europäische Mindestlöhne? Ist es richtig, den Eindruck zu erwecken, die EU könnte eine neue Ebene der Sozialstaatlichkeit einziehen? Oder muss Sozialpolitik so nah wie möglich an den Menschen gemacht werden, um erfolgreich zu sein? Für einen Liberalen sind die Antworten klar, aber auch hier gilt: Debatte, bitte!

Doch dieser Debatte verweigert sich die Kanzlerin. Natürlich weiß auch sie, dass Macron mit vielen seiner Forderungen recht hat und dass andere in vielen Ländern Europas das Zentrum der politischen Debatten beschreiben. In diesen Ländern weiß heute aber niemand mehr, wie sich die Regierung des größten EU-Mitgliedstaates Europa in zehn oder zwanzig Jahren vorstellt. Die Idee Europa ist die Idee von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie. Die Idee eines friedlichen Miteinanders der Staaten und ihrer Bürger. Die Idee von Austausch über Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Diese Idee lebt von Debatten, die der Freiheit Europas Ausdruck verleihen und in denen das Europa der Zukunft erarbeitet wird. Daher, für diese Idee, für das Europa der Freiheit: Debatte, bitte!

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