Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Interview: Pauschale Kriminalisierung ist falsch

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab der „Passauer Neuen Presse“ (Samstagsausgabe) und „pnp.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Andreas Herholz:

Frage: Herr Lindner, Sie haben mit Blick auf die Debatte um Stickoxid-Grenzwerte davor gewarnt, die deutsche Automobilwirtschaft zu enthaupten. Dabei waren es doch die Konzerne, die mit Manipulationen die Kunden betrogen und die Dieselkrise verursacht habe. Sind Sie der neue Schutzpatron der Autoindustrie?

Lindner: Es hat sich eine pauschale Kriminalisierung eingestellt, die falsch ist. Es gab Manipulationen bei einzelnen Herstellern, die ein Fall für den Staatsanwalt sind. Aber generell ist Deutschlands Automobilwirtschaft ehrlich und technologisch weltweit führend. Sie beschäftigt Hunderttausende von Menschen, zahlt Milliarden an Steuern jedes Jahr, und ist Garant für die Mobilität von Millionen Pendlerinnen und Pendlern. Diese Schlüsselindustrie dürfen wir nicht kaputt reden, wenn wir Wohlstand und Mobilität in diesem Land sichern wollen. Den Kulturkampf gegen das Auto mit Tempolimit und Fahrverbot überlassen wir den Grünen. Wir sind dagegen für die Offenheit für alle klimafreundlichen Technologien beim Antrieb, nicht nur für das Elektroauto. Wir wollen Gesetze und Infrastrukturen für die Mobilität der Zukunft schaffen. Beim autonomen Fahren haben wir gewaltige Chancen.

Frage: Aber die Abgasgrenzwerte sind von der EU nun mal beschlossen und werden in Deutschland auch umgesetzt. Was schlagen Sie vor?

Lindner: Die Grenzwerte sind alt. Neue Erkenntnisse müssen einbezogen werden. Wir brauchen eine wissenschaftliche Expertengruppe zur Überprüfung der Grenzwerte. Übrigens halte ich auch die aktuellen Flottengrenzwerte für Autos für falsch. Dort müssen klimafreundliche synthetische Kraftstoffe aufgenommen werden. Es ist ein teurer und schmerzhafter Fehler der Bundesregierung, das übersehen zu haben.

Frage: Das Umweltbundesamt hat jetzt zwar eine Verbesserung der Luftqualität bestätigt, dennoch wird der Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickoxid in vielen Kommunen weiter überschritten...

Lindner: Warum sind es 40 und nicht 70 Mikrogramm? Das sind politisch festgelegte Werte. Ihre Überprüfung muss rasch kommen. Solange die Wissenschaft prüft, fordern wir ein Moratorium für die Fahrverbote in den betroffenen Städten. Schließlich hat sich vor Ort teilweise gezeigt, dass Fahrverbote die Luft nicht verbessern, weil zum Beispiel eher alte Heizungen das Problem sind. Für deren Sanierung sollte der Bund Anreize schaffen statt die Pendlerinnen und Pendler zum Opfer der Versäumnisse der Regierungspolitik zu machen. Mit einer zeitlichen Streckung wird über die normale Flottenerneuerung das Problem sowieso sozialverträglich und ohne Belastung der Gesundheit gelöst.

Frage: Aber damit würde die rechtskräftige Entscheidung von Gerichten einfach übergangen?

Lindner: Nein. Der Gesetzgeber kann ja seine Regeln ändern. Deshalb empfehle ich Maß und Mitte, Grenzwerte überprüfen und ein Moratorium bei den Fahrverboten. Wir haben uns in Europa und Deutschland selbst gefesselt an Grenzwerte, die willkürlich erscheinen.

Frage: Bundesfinanzminister Scholz arbeitet an einer Reform der Grundsteuer. Es gibt verschiedene Modelle, das wertabhängige Modell, das Olaf Scholz favorisiert, versucht erzielte Netto-Kaltmieten, Baujahr, Lage zu berücksichtigen. Das ist fair, aber kompliziert. Die Städte wünschen eine schnelle Umsetzung der Reform lediglich auf der Basis wertunabhängiger Faktoren wie Grundstücksfläche. Wofür treten Sie ein?

Lindner: Wir wollen ein ganz einfaches Modell, das auf der Basis der Fläche arbeitet, damit es nicht zu einer Mehrbelastung bei den Besitzern und Mietern kommt. Die Grundsteuer wird ja bekanntlich umgelegt. Die angemahnte Reform ist jedenfalls kein Grund für eine breitflächige Steuererhöhung.

Frage: Das heißt, die Grundsteuer-Reform muss aufkommensneutral sein?

Lindner: Für uns ist klipp und klar: Für die Menschen darf es nicht zu einer höheren Belastung kommen. Immobilien dürfen nicht zu einem Luxusgut verkommen.

Frage: Immer mehr Regierungsarbeit wird in Kommissionen verschoben. Was sagt das über die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition?

Lindner: Es sagt vor allem etwas über den Mut dieser Regierung aus, denn weitreichende Entscheidungen müssen demokratisch legitimiert und im Parlament diskutiert werden. Das jüngste Beispiel ist die Kohlekommission, ein Regierungsgremium, das mal ebenso Kosten verursacht, die im dreistelligen Milliardenbereich liegen. Da droht eine massive Belastung für Steuerzahler und Stromverbraucher. Der Kohleausstieg war ohnehin unvermeidlich aufgrund der europäischen Ziele. Jetzt werden nur hohe Entschädigungen an die Konzerne gezahlt, die nicht nötig gewesen wären, wenn man auf fixe Jahreszahlen und planwirtschaftliche Detailsteuerung verzichten würde. Ich habe mit einem führenden Klimaforscher gesprochen, den diese Politik empört. Zugleich ist die Energiewirtschaft zufrieden. Das zeigt, dass diese Entscheidung dem Klima nichts bringt, aber zu teuer erkauft ist.

Frage: Stillstand auch beim Digitalpakt, dem Versprechen des Bundes, die Länder bei der digitalen Aufrüstung der Schulen zu unterstützen…

Lindner: Diese Debatte über das Kooperationsverbot von Bund und Ländern wird ideologisch geführt. Die Einlassungen der Ministerpräsidenten von Bayern und Baden-Württemberg helfen da überhaupt nicht weiter. Es geht nicht um ein gleichgeschaltetes Bildungssystem. Was wir aber brauchen, ist mehr Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, wenn es um die Qualität unserer Bildung geht. Die Kultushoheit der Länder soll bleiben, aber bei besonderen Aufgaben und in Sachen Fortschrittstempo soll der Bund sich unterstützend einschalten können. Dafür muss das Grundgesetz angepasst werden.

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