Stellv. Fraktionsvorsitzender

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Alexander Graf Lambsdorff
Pressemitteilung

LAMBSDORFF-Interview: Bundesregierung muss sich auf Brexit ohne Deal vorbereiten

Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff gab dem „MDR“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Tim Deisinger:

Frage: Herr Lambsdorff, ich will mal menschlich anfangen. Also, wenn man sich auch gestern mal diese Debatte im britischen Parlament angeschaut hat, ich bin da hin und hergerissen: Irgendwie tut einem Frau May leid. Dann hat man aber auch großen Respekt wie die das durchsteht. Auch weil sie den Brexit ja ursprünglich gar nicht wollte. Also wie geht es Ihnen denn da?

Lambsdorff: Herr Deisinger, das ist ein interessanter Winkel, um die Frage mal zu diskutieren. Es ist, wie Sie sagen, ein bisschen wie absurdes Theater. Hier muss eine Premierministerin, die inhaltlich gegen das ist, worum es geht, genau das durchsetzen, was ihre Gegner wollen. Christian Lindner und ich waren vor ein paar Monaten in London, haben mit ihrem Kabinettsminister gesprochen. Das ist so eine Art Kanzleramtsminister. Der erklärte uns lang und breit wie wichtig die Zusammenarbeit in Europa in diesen weltpolitisch wirklich dramatischen Zeiten ist. Und dann guckten wir ihn beide an wie ein Auto und sagten: „Aber Sie haben uns gerade erklärt warum sie eigentlich in der Europäischen Union bleiben müssten.“ Da zuckte der mit den Schultern und sagte: „Ja, ich weiß. Aber jetzt lassen Sie uns mal darüber reden, wie wir hier irgendwie weiterkommen, denn es wird so nicht kommen.“ Es war wirklich ein surreales Gespräch. Und Frau May steckt genau in derselben Klemme im Grunde.

Frage: Genau. Und der Wind, der ihr da in London entgegenbläst? Damit verglichen sozusagen ist das, was der Kanzlerin in Deutschland passiert bei Diskussionen, ja eigentlich ein laues Lüftchen, oder?

Lambsdorff: Das ist die britische Parlamentskultur. Die sind das da einfach gewohnt. Die hocken total eng aufeinander. Die haben ja auch gar keine Tische vor sich. Und dieses Laute, etwas Rüpelhafte, das empfinden sie auch als Gipfel der Parlamentskultur. Das kann man auch anders sehen, aber laut und rau ist es da immer.

Frage: Und ist denn damit zu rechnen, dass May, wenn sie jetzt mit der EU nachverhandeln will, nicht doch wieder mit leeren Händen nach London zurückkehrt?

Lambsdorff: Man muss das ein bisschen differenzieren. Eine Nachverhandlung über den Kern des Problems wird es nicht geben, nämlich in Irland eine harte Grenze zu errichten. Das wird die Europäische Union nicht akzeptieren, wenn es sich irgendwie vermeiden lässt. In Irland hat es in den 70er, 80er Jahren fürchterliche Terrorangriffe gegeben da von den Unabhängigkeitskämpfern der Irisch-Republikanischen Armee. Das war wirklich Terrorismus pur. Dahin will niemand hin zurück und deswegen hat man gesagt: „Passt auf, wir machen ein Arrangement, dass wir mit Großbritannien ein Zollabkommen machen, dass die eine eigene Zollpolitik machen können. Aber Nordirland bleibt für den Fall, dass das Ganze irgendwie nicht klappt, dann bei der Europäischen Union, vom Zollregime her, damit es eben diese harte Grenze nicht geben muss“. Da sieht es jetzt auf der Insel so aus wie zwischen Deutschland und Holland beispielsweise. Man fährt einfach drüber, ist kein Problem. Das wird die Europäische Union nicht aufgeben, weil die Iren, die ja unser Mitglied bleiben, dann eine ganz fürchterliche Lage hätten. Insofern: Im Kern wird man nichts nachverhandeln können. Was man vielleicht machen kann ist, noch mal an das zweite Dokument gehen, die politische Erklärung, die nach vorne gerichtet ist und die Beziehungen für die Zukunft definieren soll. Ob man da noch mal drüber redet, über den einen oder anderen Aspekt, das werden wir am Donnerstag in Brüssel sehen. Aber im Kern wird sich nichts mehr ändern.

Frage: Aber den Kern, den Sie angesprochen hatten, das war doch eigentlich der Hauptgrund warum viele im britischen Parlament dem nicht zustimmen wollen?

Lambsdorff: Ja genau. Und deswegen ist auch die Verschiebung dieser Abstimmung keine Lösung. Es wird sich vermutlich weder am Kern der Haltung aller anderen europäischen Mitgliedsstaaten, aller, wirklich aller, von Finnland bis Griechenland und von Portugal bis Bulgarien, da wird sich nichts ändern. Und deswegen glaube ich auch, dass das jetzt zwar eine Verschiebung ist, aber keine Lösung.

Frage: Was soll dann der Gipfel am Donnerstag wirklich bringen? Womit kann sich Frau May dann noch schmücken, wenn sie dann trotzdem mit leeren Händen kommt?

Lambsdorff: Also, ich glaube, es wird ein bisschen Theatralik geben. In London redet man ja davon, sie braucht einen „Handtaschen-Moment“. Also einen Moment wie Margaret Thatcher, wie sie mit ihrer Handtasche auf den Verhandlungstisch klopft und sagte: „I want my money back“ – „Ich will mein Geld zurück“. So soll jetzt Frau May nach Auffassung einiger in London auch mit der Handtasche auf den Tisch klopfen und sagen: „Ich will einen neuen Deal.“ Aber sie wird keinen neuen Deal bekommen. Nur, sie muss ihren Kampfeswillen unter Beweis stellen. Aber Donald Tusk, der Ratspräsident der EU, hat ja genau das gesagt, was alle anderen auch gesagt haben: Im Kern wird sich nichts ändern. Das heißt, was wir jetzt machen müssen hier auf dem Kontinent – und das gilt auch übrigens für die Bundesregierung, die da ziemlich hinten dran ist – wir müssen uns darauf vorbereiten, dass es einen Austritt gibt ohne Deal. Mit all den negativen Konsequenzen für beide Seiten, aber vor allem natürlich für Großbritannien. Das sind wirklich wichtige Vorbereitungen für viele Unternehmen, für viele Bürgerinnen und Bürger. Da muss endlich etwas passieren.

Frage: Was muss denn da konkret passieren, um dann noch ganz kurz am Ende mal nachzufragen?

Lambsdorff: Na ja, ganz praktisch: Wir brauchen Zöllner, die sich darum kümmern, wie der Warenverkehr läuft. In den Firmen muss man sich darauf einstellen, dass bestimmte Produktionsprozesse, die ja hin und her gehen über den Kanal mitunter, völlig anders gemacht werden müssen. Es müssen Medikamente zugelassen werden, die bisher in Großbritannien zugelassen sind, aber nicht mehr bei uns, damit wir eine Rechtsgrundlage haben für Patientinnen und Patienten, dass sie diese Medikamente weiter bekommen. Es muss geregelt werden, wie es mit Studenten weitergeht aus Großbritannien, die hier bei uns sind oder auch studieren oder Auszubildende aus Europa in Großbritannien. Ganz, ganz viele Sachen, die da geregelt werden müssen. Das ist alles sehr technisch, wenn man es im Einzelnen bespricht. Aber es betrifft die Menschen ganz konkret und da ist bisher leider von der Bundesregierung noch sehr wenig zu hören gewesen.

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