Parl. Geschäftsführer
Sprecher für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften

Haushaltsausschuss

Dr. Stefan Ruppert
Pressemitteilung

RUPPERT-Interview: Bekämpfung von Antisemitismus gesellschaftliche Aufgabe

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion Dr. Stefan Ruppert gab „SWR2“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Marion Theis:

Frage: Mehr als 70 Jahre nach Ende des Holocaust und fast 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik soll es einen Beauftragten für Antisemitismus geben. Wieso jetzt?

Ruppert: Das Anliegen hat natürlich einen aktuellen, aber leider auch einen sehr langen, historischen Hintergrund. Antisemitismus ist in der deutschen Geschichte leider ein Kontinuum, was ja auch zur größten Katastrophe unserer Geschichte geführt hat. Wir haben aber jüngst erlebt, dass es einige Ereignisse gab, die den Antisemitismus, den es seit vielen, vielen Jahrhunderten in Deutschland gibt, nochmal sichtbar gemacht hat, und wir haben jetzt mit diesem Antrag gemeinsam mit CDU/CSU, Grünen und der SPD auf dieses Phänomen reagiert. Für mich ist der Antisemitismus und seine Bekämpfung zuvörderst eine gesellschaftliche Aufgabe, und ein öffentlicher Beauftragter wird sicherlich diese Aktivitäten der Zivilgesellschaft nur flankieren und koordinieren können.

Frage: Der jüdische Historiker Wolffsohn sagt dazu, ich zitiere: „Das traurige Phänomen des Antisemitismus ist 3.000 Jahre alt. Wenn irgendein Politiker meint, er könne ein so tiefsitzendes menschheitliches Vorurteil durch die Einsetzung einer zusätzlichen Behörde beseitigen, dann ist das zwar sehr sympathisch, aber eben auch völlig naiv – um nicht zu sagen größenwahnsinnig.“ Ist da nicht etwas dran?

Ruppert: Ich finde den Kern des Arguments durchaus zutreffend. Wer sich darauf verlässt, dass in Zukunft ein Antisemitismus-Beauftragter das Phänomen beseitigt, der ist in der Tat naiv. Wer aber daran glaubt, dass ein solcher Beauftragter die bestehenden Initiativen der Zivilgesellschaft in Vereinen, in der christlich-jüdischen Gesellschaft, aber auch schon in den Moscheen zum Teil, in Kulturvereinen und so, wer das koordinieren kann, wer das unterstützen und fördern kann, der leistet als Antisemitismus-Beauftragter sicherlich einen wertvollen Dienst, und insofern sehe ich den Gegensatz nicht. Wir dürfen uns, wie gesagt, nicht darauf verlassen, dass die Arbeit eines Antisemitismus-Beauftragten sozusagen reicht oder gar irgendwelche Aufgaben alleine an diesen delegieren, sondern es ist unser aller Aufgabe, uns diesem Phänomen jeden Tag entgegenzustellen.

Frage: In Ihrem Antrag gegen Antisemitismus, den Sie heute zusammen einbringen, sind ja mehrere Maßnahmen vorgesehen, unter anderem sollen in den Deutsch- und Integrationskursen Einwanderer aus dem arabischen Raum vermittelt bekommen, dass Israel- und Judenschelte in Deutschland nicht geht. Das klingt zwar sinnvoll, aber wird das auch wirken?

Ruppert: Ja, das glaube ich schon. Wir wollen deutlich machen, dass das sozusagen zu unserem Kanon an kulturellen Werten, an Grundrechten und an Toleranzgebot gehört, dass wir uns dem Antisemitismus entgegenstellen. Auch da warne ich aber davor, zu tun, dass dieser neue Antisemitismus nur aus einer religiös-motivierten Gruppe kommt, dort gibt es ihn. Es gibt ihn auch in der Mitte der Gesellschaft. Der Antisemitismusbericht, der dies ja auch mal untersucht hat, hat das deutlich gemacht. Wer also auch da glaubt, es gibt nur bei der AfD oder bei der Linkspartei oder bei Zuwanderern dieses Phänomen, der greift zu kurz. Auch in meiner Partei oder der Union oder der SPD oder bei den Grünen hört man immer mal zumindest sekundären Antisemitismus, und im Bürgertum der Bundesrepublik Deutschland ist er auch immer mal wieder sichtbar geworden. Insofern ist es eben ein breiteres Phänomen, das man nicht auf eine Gruppe irgendwie abwälzen kann.

Frage: Hauptspielort dieses Antisemitismus ist ja das Internet. Da wimmelt es nur so von Judenhass und übelsten Beschimpfungen. Wie wollen Sie das denn in den Griff bekommen?

Ruppert: Ja, ich glaube, es ist auch da nur möglich, durch Bildung und durch Prävention und durch gesellschaftliche Arbeit was zu tun. Das Internet ist ja ein Ort, an dem Menschen ungeschützter und vielleicht auch unmittelbarer und ungefilterter in sozialen Netzwerken, aber auch in Foren, in Blogs ihre Meinungen kundtun. Ich bin kein großer Freund davon, das jetzt durch Netzwerkdurchsetzungsgesetze sofort zu unterbinden, weil dann beseitigt man das Symptom, aber nicht die Ursache. Dort, wo es strafrechtlich geboten ist, muss natürlich auch gegen so etwas vorgegangen werden. Aber wie gesagt, wir erreichen zu wenig, wenn wir Dinge löschen, die dann als Gedanken weiterleben.

Frage: Das heißt, man muss immer noch genauer hingucken und auf den Einzelfall schauen. Aber wie soll das in der Praxis funktionieren?

Ruppert: Ja, es ist, glaube ich, eine Aufgabe eines jeden Menschen und Bürgers, wenn er, wir kennen vielleicht auch solche Situationen, dass mal eine Redewendung gebraucht wird, die Juden etwas unterstellt oder dass ein Topos oder sekundärer Antisemitismus über Israel geäußert wird, und es ist unsere Aufgabe, uns dem entgegen zu stellen. Es hört sich leider kompliziert an und es ist auch kompliziert, weil wir werden das Phänomen nur bekämpfen können, wenn jeder Einzelne sich dieser Frage widmet und sagt, dort wo so etwas passiert, da stelle ich mich dem entgegen. Allein die Mittel des Antisemitismus-Beauftragten, das Strafrecht oder das Netzwerkdurchsetzungsgesetz werden sicherlich nicht ausreichen.

Frage: Ist dieser Antrag heute auch eine Reaktion auf judenfeindliche Äußerungen aus der AfD?

Ruppert: Ich finde, es ist eine Reaktion auf judenfeindlichen Äußerungen von allen Seiten. Die AfD hat leider das Phänomen ja auch, dass sie einerseits den Antisemitismus aus Zuwandererkreisen sozusagen brandmarkt und dagegen aktiv vorgehen will, andererseits den Antisemitismus aus eigenen Kreisen nicht richtig verfolgt, weil ihr eigener Abgeordneter in Baden-Württemberg nach wie vor Mitglied der AfD sein darf. Also da ist eine gewisse Ambivalenz, um nicht zu sagen Doppelzüngigkeit. Aber auch da wäre es parteipolitisch zu kurz gedacht, einen Antrag nur gegen eine einzelne Gruppe zu schreiben. Und insofern, finde ich, ist es klug, sich mit allen Formen des Antisemitismus in der AfD, leider auch noch in Teilen der Linkspartei, aber auch in breiten Teilen der Gesellschaft und auch in Gruppen der Zuwanderer zu befassen.

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