Christian Lindner
Pressemitteilung

LINDNER-Interview: Es kann nicht sein, dass die Grünen zu Chefverteidigern von Angela Merkel werden

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Severin Weiland:

Frage: Herr Lindner, jeden Tag gibt es neue Meldungen rund um den mutmaßlichen Missbrauch von Asylbescheinigungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Sie fordern einen Untersuchungsausschuss im Bundestag. Wann kommt er?

Lindner: Sobald wie möglich. Die Vorgänge im Bamf werfen ein Schlaglicht auf die gesamte Flüchtlingspolitik der vergangenen vier Jahre. Die eine Hand weiß bis heute nicht, was die andere tut. Beim Bamf gib es gravierende Mängel – nicht nur in der Außenstelle Bremen.

Frage: Sie brauchen für die Einsetzung des Untersuchungsausschusses die Unterstützung anderer Parteien. Die AfD hat Zustimmung erkennen lassen, die Grünen lehnen bislang ab, weil sie befürchten, die Rechtspopulisten würden den Ausschuss zur Bühne für eine Generalabrechnung mit Merkels Flüchtlingspolitik nutzen. Haben Sie davor keine Sorge?

Lindner: Nein, das Gegenteil ist der Fall. Durch Aufklärung anhand von Fakten, durch tatsächliche Konsequenzen für die Zukunft und die Zuordnung politischer Verantwortung entzieht man einer autoritären Partei wie der AfD die politische Grundlage. Auch die Grünen müssten ein Interesse daran haben, die Scharfmacher zu stellen. Es ist für mich ein Trauerspiel, dass sie gegenwärtig nicht mit uns für einen solchen Untersuchungsausschuss eintreten.

Frage: Was bieten Sie den Grünen an?

Lindner: Ich schlage ihnen Gespräche über den Untersuchungsauftrag vor. Es kann nicht sein, dass die Grünen zu den Chefverteidigern von Angela Merkel und den Herren Altmaier, Seehofer und de Maizière werden.

Frage: Im Wahlkampf hatten Sie angekündigt, sich nach dem Einzug in den Bundestag für einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik einzusetzen. Wollen Sie Merkels Flüchtlingspolitik nun im Bamf-Ausschuss untersuchen lassen, um ihr Wahlversprechen einzulösen?

Lindner: Unser Wahlversprechen war, erst dann auf einen Untersuchungsausschuss zurückzugreifen, wenn es keine Änderung in der Flüchtlingspolitik gibt. Bei einer neuen Flüchtlingspolitik hätten wir darauf verzichtet, weil in solch einem Fall bereits sichtbare Konsequenzen im Handeln der Regierung gezogen worden wären. Nun haben wir eine andere Lage: Es gibt weder eine neue, geordnete, weltoffene Zuwanderungspolitik noch sind strukturelle Defizite im Bamf abgestellt worden.

Frage: Mit einem Untersuchungsausschuss kann jede Partei auch Stimmung in anstehenden Landtagswahlen machen.

Lindner: Das ist nicht unsere Intention. Wir wollen die politische Lage beruhigen. Es geht darum, das Vertrauen in unseren Rechtsstaat wiederherzustellen. Die Migrationsfrage ist eine der größten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft, der man sich offensiv stellen muss. Dazu soll der Ausschuss dienen. Ich erinnere an die Arbeit des Ausschusses im US-Senat zur Finanzkrise – er hat die Lage analysiert, Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Finanzen befragt und daraus konkrete Verbesserungsvorschläge für die Zukunft gemacht. Im Übrigen: Wahlkämpfe werden in Deutschland entweder mit Kreuzen an der Wand oder Beschwichtigungsrhetorik gemacht. Ich wünsche mir eine Einwanderungspolitik, die praktischer Alltagsvernunft genügt. Eine Voraussetzung dafür ist, dass man Fehler identifiziert.

Frage: Anderes Thema: In Italien wird es wohl eine neue Links/Rechts-Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega-Nord geben. Wie blicken Sie nach Rom?

Lindner: Die Lage in der Euro-Zone spitzt sich durch die Regierungsbildung in Italien in dramatischer Weise zu. Italien ist nach Griechenland das Land mit der größten Verschuldung und kommt beim Wachstum nicht von der Stelle. Das ist bedauerlich, denn Italien gehört zu den Gründungsmitgliedern der einstigen EWG und ist für uns ein enger Partner und Freund. In Italien bilden die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung eine Koalition, die nur durch die populistische Ablehnung der EU und unfinanzierbare Wahlversprechen zusammengefunden hat.

Frage: Soll Druck auf Italien ausgeübt werden?

Lindner: Spätestens nach der Regierungsbildung sollte die EU-Kommission das längst nötige Defizitverfahren gegen Italien einleiten. Brüssel hat viel zu lange Regeln verwässert und nach politischen Gutdünken ausgelegt. Das war kein Entgegenkommen für Reformer, sondern eine Ermunterung für die Grillos und Berlusconis in Europa. Jetzt ist ein unmissverständliches Signal nötig, dass Europa nur mit wirtschaftlicher Vernunft und der Achtung der Verträge stabil bleibt und dynamischer wird.

Frage: Und was empfehlen Sie der Kanzlerin?

Lindner: Kanzlerin Angela Merkel rufe ich auf, sich spätestens nach der Regierungsbildung zusammen mit den Niederlanden, Dänemark und anderen gegen eine Bankenunion mit geteilten Risiken aussprechen. Das liegt im deutschen Interesse. Die Vergemeinschaftung der Schulden privater Krisenbanken zulasten von Kunden der Sparkassen und Volksbanken in Deutschland muss ausgeschlossen sein.

Frage: Was befürchten Sie?

Lindner: Italien hat so viele faule Kredite in den Büchern, dass eine Bankenunion eine Transferunion durch die Hintertür wäre. Die finanzpolitische Eigenverantwortung muss auch den privaten Sektor umfassen. Zombiebanken sind zulasten der Eigentümer und Gläubiger abzuwickeln.

Frage: Muss Merkel angesichts der drohenden Italien-Krise nun rascher auf die EU-Reformpläne des französischen Präsidenten Macron zugehen?

Lindner: Die Bundesregierung ist nun gefordert, eigene Vorschläge zur Weiterentwicklung der Währungsunion vorzulegen. Dabei muss es um Anreize für Reformen, Investitionen und Wachstum gehen, damit der Kontinent Krisen überwindet. Regeln müssen verbindlicher werden. Europa driftet in die falsche Richtung, weil aus Berlin keine Position zu hören ist.

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